Als schliefe sie
tränenüberströmten, verängstigten Frau. Dann erscheint eine andere Frau. Mansûrs Mutter mit Schere. Sie macht sich daran, den Jasminstrauch zu beschneiden. Zitternd steht die kleine Milia unter dem Baum, in ihrem Versteck. Die Schere nähert sich ihrem Haar.
Milia erzählte Mansûr nichts von dem Traum. Ihr fehlten die Worte. Wie war Asma in das alte Haus in Beirut gekommen? Was wollte Nadschîb nach all den Jahren? Die Sache war längst zu Ende. Das Gefühl von Leere, das sie nach Nadschîbs Flucht und Heirat erfasst hatte, war inzwischen vergangen. Die Zeit hatte das entstandene Loch aufgefüllt. Mansûr war der Bote, der dem Schmerz ein Ende gesetzt hatte. Wieso riss er heute eine neue Wunde in ihr auf? Wieso erschwerte er ihr den Umzug nach Jaffa noch mehr, indem er jenes uralte Gespenst, die Verlustangst, wiedererweckte, die Nadschîb ihr ins Herz gepflanzt hatte? Was wollte ihre Schwiegermutter mit der Schere? »Sie wollen mich umbringen«, schrie Milia, sprang aus dem Bett und sah Mansûr. Er saß neben ihr, eine Zigarette rauchend, das Gesicht schmerzverzerrt.
Sie lehnte Mansûrs Vorschlag ab. Auf keinen Fall wolle sie im Haus der Familie im Adschami-Viertel leben.
»Das ist das Haus deines Vaters und Großvaters. Wir sind zwei Frauen und zwei Kinder. Wo sollen wir hin?«, so die Argumente seiner Mutter. »Du und deine Frau, ihr könnt hier wohnen. Das Haus ist groß genug. Das ist kein Problem. Und so kannst du dich gleichzeitig um die Kinder deines Bruders kümmern. Du bist jetzt der Mann in der Familie!«
Er sei der Mann in der Familie und habe sich folglich auch als solcher zu verhalten, sagte er zu Milia und zog damit jenen gewissen Blick auf sich. Bei gesenkten Lidern hob sie den Blick und sah ihm durch zwei schmale Schlitze eindringlich in die Augen. Verunsichert, wusste er sofort, dass er lieber schweigen sollte. Anfangs faszinierte ihn dieser Blick, der eine Mischung war aus Scham, begleitet von leicht geröteten Wangen, und Verlangen, das nur auf Umwegen zum Ausdruck kam. Mit der Zeit aber hatte sich die Bedeutung der Dinge verändert, und inzwischen fürchtete er diesen Blick.
Er lauschte ihrem Blick und begriff.
»Das ist nur eine vorübergehende Lösung«, rechtfertigte er sich. »Unmöglich, dass ich mein ganzes Leben mit drei Frauen zubringe. Ich werde ja schon mit einer kaum fertig.«
. . .
»Natürlich, natürlich. Aber wir brauchen ein bisschen Zeit. Und später, wenn das Geschäft läuft und Geld hereinkommt, ziehen wir um. Ich habe vor, ein Haus für meine Mutter und die Kinder zu kaufen. Dann leben sie für sich, und wir bekommen das Haus der Familie.«
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»Nein, ich mag das Haus der Familie auch nicht. Schließlich bin ich daraus geflohen und nach Nazareth gegangen. Wir kaufen ein Haus im schönsten Viertel. Du wählst, und ich kümmere mich um alles Weitere. Wenn wir erst einmal in Jaffa sind, ist alles ganz einfach. Du bestimmst, und ich erledige den Rest.«
. . .
»Nein, wir brauchen etwas Zeit. Ungefähr zwei Jahre.«
. . .
»Gib mir neun Monate. Wir sollten davon ausgehen, dass das Haus so viel Zeit braucht wie ein Kind. Mach dir keine Sorgen, wir werden unser unabhängiges Leben haben. Anfangs kümmerst du dich nur um das Kind. Meine Mutter und Asma übernehmen die Kocherei, und du lebst wie eine Königin. Später ziehen wir in unser Haus um. Häuser sind eine schwierige Sache in Jaffa. Jaffa ist eine Großstadt genau wie Beirut. Es ist nicht einfach, dort ein passendes Haus zu finden. Das heißt, man muss ein wenig Geduld aufbringen. Aber mit Gottes Hilfe wird alles gut ausgehen.«
Seit sie dem libanesischen Mönch begegnet war, hatte sich alles verändert. Davor war sie, immer wenn sie sich ärgerte, laut geworden. Die Stimme, die dann aus ihr herausplatzte, kam ihr vor wie die ihrer Mutter. Sie hasste sich selbst dafür. Ein kleines Mädchen, von einem Tag auf den anderen verantwortlich für eine ganze Familie, bestehend aus vier Männern und einer Nonne. Einer Nonne in Zivilkleidung. Das war die kranke Mutter, nach deren Pfeife alle zu tanzen hatten. Als Milia eines Tages ihrem ältesten Bruder Salîm ins Gesicht brüllte, dass sie kein Dienstmädchen sei, und die Stimme der Mutter aus dem eigenen Mund kommen hörte, blieben ihr die Worte im Hals stecken, dass sie fast daran erstickte. Milia wusste nicht mehr, was vorgefallen war, wusste nicht einmal mehr den Grund für den Streit mit dem Bruder, geschweige denn, was sie sagte, als ihr die Stimme
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