Als schliefe sie
im Land herum und lässt sich nicht blicken! Wartet so lange, bis das Mädchen tot ist, und bequemt sich dann erst her!«, klagte Malika ihrer Tochter und wischte sich die Tränen.
»Aber Mutter? Du nimmst doch nicht etwa Milias Träume ernst! Das ist doch der reinste Quatsch!«
»Nein, es stimmt alles!«, widersprach Malika. »Ibrâhîm ist inzwischen wirklich klein und rund. Er spricht so leise, dass man ihn kaum verstehen kann. Wieso hat er sie nicht vor ihrem Tod noch einmal besucht? Das ist nicht anständig!«
»In dieser Familie sind alle übergeschnappt«, kommentierte Saada.
»Die Einzige, die hier übergeschnappt ist, bist du!«, setzte Malika entgegen. »Milia hat ihn gesehen und ich auch.«
»Wie willst du ihn gesehen haben, Mutter? Er ist doch in Brasilien. Sein Bruder ist vorbeigekommen und hat gesagt, dass Ibrâhîm zutiefst bestürzt ist, aber nicht in den Libanon kommen kann.«
»Nein, nein! Er war hier und hat Salma nicht besucht. Er hat ihr und mir das Herz gebrochen!«
Er fürchte sich vor dem Tod, habe er ihr offenbart und sie gefragt, ob sie nicht Salma sei, erzählte Milia.
Sie sei Milia, habe sie geantwortet.
Er habe sich nicht getraut, seine Verlobte auf dem Sterbebett zu besuchen, habe er unter Tränen gesagt.
»Hör auf damit, Kind!«, befahl Saada.
Milia sah ihre Mutter beklommen an und trat stumm aus dem Zimmer in den Garten. Sie schloss den Schlauch an den Hahn über dem Bassin an, drehte das Wasser auf, goss die Bäume.
Mûsa war sieben Jahre alt, als er Hand in Hand mit seiner Schwester vor dem Bett der toten Großmutter stand. Er verstand nicht, was Tod heißt. Verstand nicht, was es heißt, dass seine Großmutter im Traum reiste. Er hörte das Schluchzen der Frauen, die sich um das Bett der weißen, mit weißem Laken bedeckten Frau versammelt hatten. Ihm quoll eine wasserartige Flüssigkeit aus den Augen, verfing sich in den Wimpern. Er weinte, schluchzte nicht, sondern stand nur still da und wartete. Wartete darauf, dass Milia ihm mit den Fingerspitzen die Wimpern trocknen, sich herunterbeugen und ihm auf jedes Auge einen Kuss drücken würde. Das tat Milia immer, wenn sie merkte, dass er sich fürchtete. Die zarte Berührung half ihm auf der Stelle, zu sich selbst zu finden und die Angst abzustreifen, die ihn nachts befiel. Angst vor den Wesen und Bäumen der Nacht, von denen ihm Milia erzählt hatte. Nach Sonnenuntergang, so ihre Worte, entfalteten sich die Bäume der Nacht. Und dann nisteten sich in ihrem Geäst die Träume ein. Mûsa fürchtete sich vor Nacht und Nestern. Deshalb schlich er, wann immer er im Dunkeln erwachte, auf nackten Füßen zu Milia hinüber. Ohne die Augen zu öffnen, rutschte sie ein wenig beiseite, damit er Platz hatte. Sobald er lag, strich sie ihm mit den Fingerspitzen über die Wimpern und drückte ihm auf jedes Auge einen Kuss. Im Nu fiel er in einen tiefen Schlaf.
Mûsa war zwanzig, als er Milia jene Neuigkeit mitteilte. Sie saß auf der Bettkante, vorgebeugt, und flickte einen Strumpf. Er kam herein. Mit Tränen in den Wimpern stand er vor ihr. Dann sprach er es aus. Mansûr Haurâni habe um ihre Hand angehalten. Wortlos legte sie den Strumpf samt Stopfpilz auf das Bett und stand auf. Sie hob die Hand, strich ihm mit den Fingern über die Lider, drückte auf jedes Auge einen Kuss, schmeckte Tränen. Wie ein kleiner Junge stand er da. Die Augen bange, die Unterlippe zitternd.
»Ich bin mit allem einverstanden, was du möchtest«, sagte sie, während sie seine Augen küsste.
»Du willst es doch, oder?«, fragte sie.
Wieder ein erwachsener Mann, aufrecht und groß, schaute er sie an.
»Ja«, entgegnete er, die Stirn in Falten.
»Wie du willst«, sagte sie.
Mûsa hielt sich zurück. Fragte nicht nach der Art ihrer Beziehung zu Mansûr. Verriet nicht, dass Mansûr, als er um ihre Hand anhielt, alles offengelegt hatte. Offengelegt hatte, dass Milia ihm ihre Liebe gestanden und den Antrag angenommen hatte. Mûsa sprach auch mit keinem Wort an, dass er sich hintergangen fühlte.
»Also liebst du ihn?«, fragte er knapp.
Sie sah ihn an, als verstünde sie die Frage nicht.
»Ich bin einverstanden, weil er dir wie aus dem Gesicht geschnitten ist«, sagte sie lächelnd. »Weißt du, es ist, als sei er du.«
»Ich?«, wehrte er ab.
»Du bist der Attraktivere. Aber er sieht dir unglaublich ähnlich. Er könnte dein Bruder sein.«
Mûsa, das Gesicht ernst verbissen, murmelte etwas über die Treulosigkeit von Frauen.
»Was sagst du?«,
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