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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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war alles anders. Die Tür öffnete sich. Drinnen weder Rauch noch Schischa-Geblubber. Karten gespielt wurde auch nicht. Herr Kamîl war außer Haus. Und Nadra bereitete in der Küche das Mittagessen zu. Jûsuf wollte den Stuhl holen, fand ihn aber nicht vor. Wie versteinert stand er da, wusste nicht, was er tun sollte.
    »Der Stuhl ist kaputt«, erklärte Nadra. »Also machen wir es von nun an auf die europäische Art. Los geht’s, komm! Nun komm schon«, sagte sie und zupfte ihn am Ärmel.
    Was es mit der europäischen Art auf sich habe, fragte er nicht. Wortlos folgte er ihr die lange Treppe hinauf, die von der Abu-Arbîd-Straße zur Tawîl-Gasse führte, in der sein Haus stand.
    »Leg dich aufs Bett, Saada«, befahl Nadra.
    »Nein, nicht längs«, korrigierte die Hebamme, »sondern quer. Leg dich quer aufs Bett und stell die Beine auf! Schließlich muss ich ja irgendwie da herankommen!«
    Schwerfällig wälzte sich Saada in die richtige Lage.
    »Wo«, setzte sie zu einer Frage an und verstummte unvermittelt, von Schmerzen geschüttelt.
    »Es gibt keinen Stuhl«, sagte Nadra. »Heute bringen wir die Sache auf die moderne Art über die Bühne. So, und jetzt stell die Beine auf und press!«
    Saada brach in Tränen aus.
    Nadra reinigte sich die Hände mit Wasser und Seife, trat an Saada heran und redete ihr gut zu.
    Saada aber hörte nichts. Denn sie rang. Rang mit den Schmerzen und rang nach Atem. Sobald sie presste, staute sich die Luft in ihrer Lunge, und sie riss, gierig nach Sauerstoff schnappend, den Mund auf und hechelte.
    »Ruhig, Saada, ruhig«, beschwichtigte Nadra, ihr mit einem Handtuch den Schweiß von Stirn und Hals tupfend.
    Das Kind aber weigerte sich beharrlich, die Reise hinaus in die Welt anzutreten. Nadra kniete sich vor die Gebärende und tastete mit beiden Händen nach dem kleinen Kopf, der sich, bereit für die Niederkunft, in die richtige Position gedreht hatte. Sie versuchte den Kopf zu fassen, vergeblich.
    »Pressen! Nun press!«
    »Luft, Luft, ich ersticke!«, japste Saada bebend und verfiel in heftiges Zittern, sodass ihre Zähne klapperten.
    »Hilfe, ich sterbe!«
    »Keine Sorge, dir passiert nichts!«, schrie Nadra.
    Saada schloss die Augen, ergab sich dem Zittern. Sie hörte nichts mehr. Es dröhnte entsetzlich in ihren Ohren. Die Hebamme eilte hinaus, holte eine Schüssel mit kaltem Wasser und legte Saada Kompressen auf die Stirn. Das Zittern ließ nach, und bald konnte Saada wieder atmen.
    »So, jetzt versuchen wir es noch einmal«, sagte Nadra. »Wenn die nächste Wehe kommt, musst du pressen. Noch einmal kräftig pressen, und dann hast du es hoffentlich überstanden.«
    Wieder kniete sich Nadra vor Saada, schweißgebadet, das kurze blaue Kleid triefend nass. Auch sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Ihr war zum Schimpfen zumute. Verflixte Kinderkriegerei!, hätte sie am liebsten geflucht. Aber sie beherrschte sich.
    »Pressen, Saada!«, feuerte sie die Gebärende an. »Press! Kräftig! Noch kräftiger! Nun press doch schon!«
    Saada gab ihr Bestes. Doch schlagartig erschlafften ihre Muskeln. Völlig erschöpft zitterte sie wieder am ganzen Leib. Ratlos richtete sich die Hebamme auf. Sie war mit ihrer Weisheit am Ende, wusste nicht, was sie tun sollte, stand einfach nur wartend da. Dann beobachtete sie etwas Seltsames. Sie sah, wie Saada die Sinne schwanden und wie sie grün anlief. Ein eigenartiges Grün breitete sich über Wangen und Augen aus. Kurz darauf waren Gesicht, Hände, Beine und Füße von grünen Flecken übersät. Solche körperlichen Verfärbungen hatte Nadra in all den Jahren als Hebamme noch nicht erlebt und führte sie instinktiv auf die gelben Laken vor den Fenstern zurück. Das Gelb speie Feuer, war ihr erster Gedanke, als Jûsuf auf ihre Bitte die beiden Fenster mit Blick zum Garten der Rahhâls verhängt hatte.
    »Diese Farbe! Nimm andere Laken!«, hatte sie gebeten.
    Jûsuf aber rührte sich nicht von der Stelle.
    »Andere haben wir nicht«, sagte er knapp.
    »So, und jetzt raus hier! Raus!«, befahl sie.
    »Der reinste Backofen ist das hier!«, beschwerte sie sich, als sie Schwester Milânâ zur Tür begleitete.
    »Nimm gefälligst die Zigarette aus dem Mund«, wies die Nonne sie im Gehen zurecht, die Arme erhoben, wie um aller Welt zu bedeuten, dass sie dem Kind auf die Welt verholfen hatte.
    Wie ein alles verschlingendes Feuer hatte sich das Gelb ausgebreitet. Dann folgte jenes Grün. Ein helles Grün, das, nach und nach dunkler werdend, die

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