Als schliefe sie
Rücken kehren und zu den Franzosen überlaufen! Pfui Teufel!«
Schwester Mîlâna befahl Saada, ebenfalls auf den Teufel zu spucken. Saada spuckte und fragte die Nonne, was sie tun solle, um die Versuchung abzuwenden.
»Will Nikola ihn wirklich töten?«, fragte die Nonne.
Saada nickte.
»Das ist ein ganzer Kerl!«, rief die Nonne. »Der hätte den Platz als Erstgeborener verdient. Wenn Salîm unbedingt Mönch werden will, dann soll er auf den Berg Athos in Griechenland gehen. Dort leben die echten orthodoxen Mönche, die Gott Ehre machen!«
»Mein Sohn soll nach Griechenland gehen? Nein, bloß nicht!«
»Ist doch besser als zu sterben.«
»Wieso sollte er sterben?«
»Du hast doch eben gesagt, dass sein Bruder ihn töten will. Nikola muss ihm einen gehörigen Schreck einjagen, damit er von seinem Vorhaben ablässt. Und dann werde ich sehen, was zu tun ist.«
»Und wenn er sich nicht abbringen lässt?«
»Dann wird er eben sterben«, sagte die Nonne.
»Sterben?«
»Was können wir denn schon ausrichten?«
»Wie? Eine Nonne, die das Morden befürwortet?«
»Nein. Ich habe nie gesagt, dass ich das Morden befürworte. Aber es wäre dann Gottes Wille.«
»Dass ich meine Söhne verliere?«
»Mehr als das, was du eh schon verloren hast, kannst du nicht verlieren. Blasphemie ist das schlimmste Vergehen überhaupt! Verbiete Nikola auf keinen Fall den Mund. Und übe auch keinen Druck auf ihn aus!«
»Heißt das, dass er ruhig seinen Bruder ermorden soll?«
»Nein, natürlich bin ich nicht für Mord und Totschlag. ›Du sollst nicht töten‹, besagt das Gebot. Aber das bedeutet keineswegs, dass der Mensch weiß, welche Wege Gottes Wille nimmt. ›Du sollst nicht töten‹, besagt das Gebot. Trotzdem lassen die Menschen das Morden nicht bleiben. Und alle Menschen sind Brüder. Das heißt, dass letztendlich jeder Mord ein Brudermord ist. Aber selbstverständlich bin ich gegen das Morden.«
Schwester Mîlâna zog Saada bei der Hand vor die Ikone des Sankt Elias, ließ sie niederknien und richtete murmelnd ein Gebet an den Heiligen im Feuerwagen mit glühendem Schwert in der Hand.
»Er wird deine Söhne retten, keine Bange!«
Saada weinte bittere Tränen an jenem Tag. Sie, die sich hauptsächlich im Erzengel-Michael-Kloster aufhielt, fühlte sich verloren. Richtig. Sie betete, fastete und berief sich in ihrem unerschütterlichen Glauben auf die Nächstenliebe. Doch die Jesuiten hasste sie, weil sie Jesuitisch sprachen und auf Latein, also in einer ihr unverständlichen Sprache beteten.
»Aber ihr versteht doch auch nicht, was ihr auf Griechisch betet«, setzte Salîm dagegen.
»Doch, wir verstehen sehr wohl, auch wenn wir die einzelnen Worte nicht kennen. Denn Griechisch geht einem ins Herz ein, und deshalb verstehen wir alles.«
»Wir müssen die Gebete nicht unbedingt verstehen«, sagte Salîm. »Der Papst versteht sie als Einziger. Deshalb muss man mindestens sieben Sprachen beherrschen, um Papst werden zu können.«
»Halt den Mund. Ich will nichts von diesem Kerl hören!«, schimpfte die Mutter und schlug das Kreuz, wie um sich vor dem Teufel zu schützen.
Der Sturm um Salîm legte sich schnell. Nachdem ihm Nikola Mord angedroht hatte, sprach er nie wieder davon, dass er Mönch werden wolle. Milia war überzeugt, dass ihr ältester Bruder verschwinden und ihm keiner je auf die Spur kommen würde, weil er schwarz verhüllt in irgendeinem Jesuitenkloster außer Landes leben würde. Das Verbrechen würde nicht stattfinden. Denn Abel hätte keine Gelegenheit, sich an seinem Bruder Kain zu rächen. Andernfalls würde die Geschichte nicht stimmen.
Salîms Wandlung war allen ein Rätsel. Beruhte sie auf der Beziehung zu dem Jesuitenmönch Eugen? Hatte sie mit dem gescheiterten Jurastudium zu tun? Oder was sonst?
Kontakt zu Bruder Eugen bekam Salîm durch Sonntagsschule und Kinofilme. Später nahm er an den Sommerfreizeiten teil, die Bruder Eugen für die Jungen im Viertel anbot. Dann, eines Tages, kam er heim und verkündete, dass er ein Stipendium erhalten habe, das ihm ein Jurastudium an der Jesuiten-Hochschule ermögliche, ohne dass es die Familie auch nur einen Piaster koste. Salîm aber brachte das Studium nie zu Ende. Jahrelang an der Universität, behauptete er immer, wenn man ihn fragte, wann er denn endlich »Advokat« sein würde, dass er neben dem Studium arbeiten müsse und sich sein Abschluss deshalb verzögere. Wo und was er arbeitete, wusste allerdings niemand. Vielleicht hatte er
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