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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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der Erde. Beide Male steckt man in einem Prozess großer Verwandlungen, die einen an den Ort der Bestimmung führen.
    Wer hatte ihm die Sache mit den zwei Gräbern erzählt?
    Milia? Nein, gewiss nicht. Milia war glücklich mit ihrem runden Bauch. Sie schlief, trank Wasser und machte den Eindruck, als hätte ihr Leben gerade erst begonnen. Dann stammte der Gedanke bestimmt von Schwester Mîlâna. Doch diese hatte er bisher nur ein einziges Mal gesehen, und zwar bei der Hochzeit in der Kirche. Allerdings war er an dem Tag nicht sonderlich aufnahmefähig gewesen. Hatte sich die Nonne ihm etwa im Traum gezeigt? Aber er träumte nicht. Und wenn doch, dann erinnerte er sich später nicht mehr daran.
    Mansûr wollte Milia von früheren Frauengeschichten erzählen. Doch sie wollte davon nicht hören. Weshalb hätte er überhaupt davon erzählen sollen? Schließlich war sie seine große Liebe. Vom ersten Blick an war er ihr verfallen. Er wusste weder wie noch was ihm geschah. Und er begriff auch nicht, wieso ihm, kaum dass er die Augen schloss, ihr Becken vorschwebte. Milia hatte ihn einfach verzaubert. Es war die weiche Rundung von der Taille hinab zum Becken, die ihn verzauberte. Und das strahlende Weiß, das aus dem weißen Kleid mit aufgedruckten roten Kirschen regelrecht herausplatzte. Er wollte auf sie zugehen, mit ihr sprechen. Doch er traute sich nicht. Erst nach drei Monaten wagte er sich vor. Und da bemerkte er das Grübchen in ihrer rechten Wange und den benommen müden Ausdruck in ihren großen Augen.

    »So weiß ist sie, als trüg sie Haut auf Haut.
    Die Schönheit kennt nur, wer ihr Antlitz hat geschaut.
    Ihr Busen, duftend wie Kampferbäume,
    lässt mich entschweben in Balsamträume.«

    »Was sagst du da?«
    »Das ist ein Gedicht.«
    »Wieso? Bist du ein Dichter?«
    »Nein, aber ich liebe Poesie.«
    »Und weiter?«

    »Drei Küsse durch ihren Schleier
    gab Abla mir nachts im Traum.
    Zurück blieb ein loderndes Feuer,
    es zu verbergen vermag ich kaum.
    Trät ich nicht zurück und würd stillen
    mit Tränen der Liebe Brand,
    wär ich tot, o Mond, und zu Willen
    einer Eifersucht, die ich nie gekannt!«

    »Hat er von ihr geträumt?«
    »Klar. Wie hätte er sich denn sonst in sie verlieben können?«
    »Und du? Hast du dich im Traum in mich verliebt?«
    »Ich bin, wie gesagt, kein Dichter.«
    Milia bemerkte, dass er Mûsa ähnlich sah. Das Herz hüpfte ihr vor Freude, und sie lächelte. Jenes Lächeln war der Beginn des Weges, der ihn in die Erzengel-Michael-Kirche und auf die Nebelfahrt nach Schtûra führen sollte. Und dort im ungeheizten Bad rief er nach seiner Mutter, weil er den Tod nahen fühlte.
    So hat er die Dinge in Wirklichkeit nicht erlebt, aber seiner Frau erzählt, als er drei Monate nach der Hochzeit die beerdigte Geschichte ausgraben wollte.
    Was er nicht sagte, war, dass er im Bad entsetzlich gefroren hatte, sich aber aus Sorge, alles nur noch schlimmer zu machen, nicht ins Zimmer traute. Auf der Toilette sitzend, waren ihm die roten Bodenfliesen vorgekommen wie Eisblöcke, die ihm in die nackten Füße brannten. In dem Moment hatte Milia an die Tür geklopft und gesagt, dass sie einen Arzt rufen würde.
    »Nein, Milia, mir geht es gut. Leg dich wieder schlafen, bitte!«
    Er konnte selbst kaum glauben, dass er mit derart bibbernden Lippen Worte hatte artikulieren können. Doch dann hörte er, wie sich Milias Schritte entfernten, und entspannte sich. Mit der Entspannung erfasste ihn ein Zittern, das hinter den Rippen gelauert hatte. Verzweifelt und schlotternd verließ er das Bad. Auf Zehenspitzen schlich er zum Ofen, wärmte sich an ihm etwas auf und legte sich dann ins Bett.
    Milia schlief. Er hielt Abstand von ihr. Zusammengekauert, die Decke bis über den Kopf gezogen, spürte er, wie die Wärme seinen Körper durchrieselte. Er nickte ein, schrak aber gleich wieder auf. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er als Bräutigam in der Hochzeitsnacht nicht einschlafen dürfe, bevor er nicht die Frau an seiner Seite besessen hatte.
    Vor lauter Verlangen habe er nicht schlafen können, sagte er. Er habe sie unter dem Mandelbaum stehen sehen, ihre runden Hüften gesehen und das Gefühl gehabt, von ihrem Schoß empfangen zu werden. Mit jeder Berührung und jedem Kuss gewann er den Geschmack am Leben und seine von Kälte und Angst aufgelöste Seele Stück für Stück zurück.
    Nun erlebte er, wie sie rund und runder wurde. Schwanger schien sie wie neugeboren. Es war, als verhelfe ihr das Kind im

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