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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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Bauch zur Vollendung. Dann aber sah er die roten Striemen an ihrem Hals und erinnerte sich, dass es da eine Geschichte gab, die sie ihm vorenthielt und die er unbedingt wissen wollte.
    Milia kümmerte das alles nicht. Ihr stets gesenkter Blick, der bei Mansûr den Eindruck erweckte, dass Scheu ihr persönliches Merkmal sei, hatte sich völlig verändert. Der Blick war Teil ihrer Welt, Teil der Kreise geworden, in denen sie lebte. Sobald sie zu Boden schaute, schloss sich der Kreis. Sie zog sich in sich selbst zurück und entschwebte in Sphären, in die ihr keiner folgen konnte.
    Mansûr verspürte eine gewisse Eifersucht. Nein, keine Eifersucht, sondern Distanz. Es war, als baue sie mit ihren Kreisen eine unüberwindbare Distanz zu ihm auf.
    »Ich gehe jetzt schlafen«, sagte sie und stand auf.
    »Setz dich«, befahl er.
    »Nenn ihn, wie du willst«, fuhr sie Mansûr an. »Keine Ahnung, wieso du so bist. Ich dachte, du würdest dich freuen wie jedermann, wenn er erfährt, dass seine Frau schwanger ist.«
    »Nein, es geht nicht um den Namen. Es geht um etwas anderes«, sagte er und fragte nach Nadschîb.
    Seit zwei Jahren hörte sie zum ersten Mal wieder diesen Namen. In der Familie hatte ihn keiner mehr erwähnt. Und kam jemand doch auf ihn zu sprechen, dann wurde der Name durch ein unverfängliches »er« ersetzt. So wurde aus dem Mann ein Pronomen, eine Verbindung von zwei Buchstaben ohne konkrete Bedeutung.
    Nadschîb war fort. Sein Bild hatte sich verflüchtigt. Ebenso sein Name. Und nun, nachdem Milia sich von ihrer Vergangenheit und von den Erinnerungen an jene Zeit befreit hatte, wurde er wieder zum Thema. Sie wisse es nicht, hätte sie am liebsten gesagt oder: »Es ist nicht so, dass ich es nicht wüsste, aber die Geschichte ist gestorben und längst beerdigt. Also braucht man sich damit nicht zu befassen.«
    Dass bei Geschichten unbedingt zu unterscheiden ist, hatte sie von ihrer Großmutter gelernt. Kaum setzte nämlich Saada an, über ihren Schwiegervater und das Haus zu sprechen, das er gekauft hatte, fuhr ihr Malika über den Mund.
    »Verfaulte Geschichten«, sagte sie barsch, »muss man begraben, sonst fangen sie an zu stinken.«
    Besagter Schwiegervater hatte den Frauen in der Familie zeitlebens Schmerz bereitet. Deshalb wollte man die Sache mit dem Haus tunlichst aus dem Gedächtnis löschen und die Frau, die darin gewohnt hatte, mit der Geschichte begraben. Keiner sprach davon. Nicht von der Ägypterin, nicht von Herrn Aftimos, nicht von dem Skandal, zu dem es kam, als der Großvater nach dem Tod seiner Geliebten, die gleichzeitig auch die Geliebte eines anderen Mannes war, das Haus kaufte.
    Weshalb wollte Mansûr die Geschichte ausgraben, die Milia längst beerdigt hatte?
    Saada war erleichtert, dass der Alptraum vorbei war. Salîm und seine Begeisterung für Jesuitenmönche und den Katholizismus! Woher hatte er das nur? Als Einziger unter seinen Geschwistern hatte er die Schulausbildung zu Ende gebracht mit dem Ziel, Rechtsanwalt zu werden. Und dann setzte er sich in den Kopf, Mönch werden zu wollen, und entfesselte damit im Haus einen Sturm.
    Nikola hörte den Streit zwischen Salîm und der Mutter. Den roten Tarbûsch des Vaters auf dem Kopf, stürmte er in den Raum und geradewegs auf seinen Bruder zu.
    »Ich bringe dich um«, sagte er leise mit dumpfer Stimme.
    »Wer bringt denn seinen Bruder um?«, schrie Salîm.
    »So hat das Töten auf der Welt doch angefangen. Mit einem Brudermord. Kain tötete Abel. Und jetzt will sich Abel rächen. Mit mir treibt keiner seine Spielchen! Für solche Extravaganzen ist hier im Haus kein Platz. Das Ganze kostet mich eine lächerliche Kugel. Und der Sarg steht bei mir im Geschäft schon bereit.«
    Seither setzte Nikola nie mehr den Tarbûsch ab. Bei seinem Anblick gefror allen Familiemitgliedern das Blut in den Adern. Saada wusste nicht, was sie tun sollte. Also holte sie sich Rat bei der heiligen Mîlâna.
    »Ich habe zwei Söhne«, trug sie ihr Problem vor. »Der eine will Jesuitenmönch werden. Und der andere ist drauf und dran, ein Verbrechen zu begehen. Was soll ich tun?«
    »Jesuit?«, fragte die Nonne entsetzt. »Um Himmels willen! Gott bewahre uns vor dem Satan! Und so etwas will der Enkel des ehrwürdigen Salîm sein, der als Erster die Glocken der Sankt-Girgis-Kirche in Beirut geläutet hat? Das war ein richtiger Mann! Und jetzt kommt Salîm junior daher, der zu allem Übel noch den Namen seines Großvaters trägt, und will dem wahren Glauben den

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