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Als schliefe sie

Als schliefe sie

Titel: Als schliefe sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elias Khoury
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bekannt.
    Mansûr zog Geld aus der Tasche, reichte es ihm und bedankte sich.
    »Sie sind wirklich ein ganzer Kerl!«, sagte der Fahrer. »Bei dem bloßen Gedanken daran, wie Sie durch Nebel und Schnee gestapft sind, zwickt und beißt mich die Kälte von Kopf bis Fuß. Und sofort schaudert es mich. Sie dagegen haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt! Wie Sie das gemacht haben! Sie sind ein wahrer Löwe! Sie sind kein Bräutigam, nein, Sie sind ein Löwe!«
    Mansûr gab keine Antwort. Er nahm ein zynisches Grinsen auf den Lippen der beiden Frauen wahr, die, wie er fand, wie zwei Abbilder voneinander waren. Ihre Ähnlichkeit sei erschreckend, hatte Milia am Abend zuvor geäußert. Wenn man von dem krummen Rücken und den O-Beinen absehe, dann sei Wadî’a II eine originalgetreue Kopie von Wadî’a I. Ihm selbst fiel das am Abend nicht auf. Denn ihm war, halb erfroren, am ganzen Leib schlotternd, als würde sein Knochengerüst jeden Augenblick bersten. Er wollte nur noch ein warmes Bett, die Augen schließen und ins Dunkel tauchen.
    Wadî’a I kam näher und erkundigte sich nach der Braut. Kurz darauf wiederholte Wadî’a II die gleiche Frage. Mit der gleichen Stimme und der gleichen Gestik.
    »Wo ist Herr Masâbki?«, fragte Mansûr.
    Er wusste selbst nicht, wieso er ausgerechnet den Hotelbesitzer heranzog, um seine Furcht vor der Frau zu überspielen, die sich augenscheinlich verdoppelte.
    »Herr Masâbki schläft. Das lange Warten gestern hat ihn sehr angestrengt«, sagte Wadî’a I.
    »Herr Masâbki ist erschöpft«, sagte Wadî’a II .
    Das sind Mutter und Tochter, dachte Mansûr. Herr Georges Masâbki hat großes Glück mit den beiden Frauen. Denn für ihn hat sich durch ihre Anwesenheit kaum etwas verändert. Der ewige Junggeselle, wie er sich selbst nannte, hatte die perfekte Lösung gefunden: Eine Frau, die sich in der Tochter wiederholt. So war alles perfekt. Eine Dienstmagd. Also keine Ansprüche, sondern Ruhe und Gehorsam. Verwitwet. Also ohne Rückhalt. Und dass sie eine Tochter hat, die ihr aufs Haar gleicht, hieß, dass er sich die Kleine nach eigenen Vorstellungen formen würde. So hatte er sich sein Leben wunderbar eingerichtet. Versorgt und geliebt von zwei Frauen, die er wie zwei Ringe am Finger trug.
    Das nenne ich einen Mann, wollte Mansûr sagen, machte sich stattdessen aber über seine Spiegeleier her. Dann hörte er Schritte. Er schaute auf. Es war Milia. Sie blieb bei den beiden Wadî’as stehen und unterhielt sich leise mit ihnen. Auf einmal kam sie ihm viel größer vor als sonst. Kaum hatte sie ihm gegenüber Platz genommen, hob sie die Brauen. Sofort verstand er. Er sollte keine Eier essen.
    Im Bad von einem Gefühl der Schmach erfasst, hatte er sich in der Nacht eingeschlossen und nach seiner Mutter gerufen, weil er glaubte, seine letzte Stunde habe geschlagen. Denn nur der Tod erstickt sexuelle Lust. Ist also das Verlangen eines Tages erstorben, weiß man, dass der Tod vor einem steht.
    »Auf einmal klammert man sich ans Leben wie nie zuvor«, hatte der alte Mann damals gesagt, von dem Mansûr nur noch das dichte weiße Haar in Erinnerung hatte.
    Der Alte war in die Schlosserei gekommen und hatte massenhaft Eisenstangen gekauft. Für die Freiheitskämpfer in den Bergen, wie er erklärte. Dann hatte er Mansûrs Bruder, Amin, fest ins Gesicht geschaut.
    »Ach kehrte die Jugend doch eines Tages wieder!«, hatte er gesagt. »Ich weiß, dass meine Stunde naht, weil er, der hier«, unterbrach er, auf seinen Schritt zeigend, »nicht mehr will. Und wenn er nicht mehr will, dann befiehlt er dir, ihm in den Tod zu folgen.«
    Von der Situation waren Mansûr nur noch die paar Sätze in Erinnerung geblieben. Das ganze Gespräch hatte er ohnehin nicht mitbekommen, weil er erst hinzukam, als der Alte am Aufbrechen war. Dafür aber hatten sich diese Worte umso tiefer in sein Gedächtnis gegraben. Und im Bad, während er sich auf wackligen Beinen und mit Bauchkrämpfen erbrach, kamen ihm die Worte wieder in den Sinn. Er glaubte, seine letzte Stunde habe geschlagen, und rief nach seiner Mutter. Er sah sie. Mit gebrochenem Oberschenkel am Boden liegend, rief sie ihre tote Mutter. Offenbar war das Leben ein Kreislauf von Müttern, dachte Mansûr. Am Ende schien nichts zu bleiben. Nur die Beziehung des Kindes zu seiner Mutter, also dem eigenen Tod. Ruft man nämlich nach seiner Mutter, dann beschwört man unbewusst sein Grab herauf. Der Mensch lebt zwischen zwei Gräbern: dem Bauch seiner Mutter und

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