Als wäre es Liebe
in das Handtuch ein. Er legt seine Arme um ihre Schultern und drückt sie an sich. Sie legt ihren Kopf zurück. Sie stehen da, ihr Kopf an seine Brust gelehnt, ihre Gesichter von der Sonne beschienen; wahrscheinlich haben sie ihre Augen geschlossen, aber das kann sie aus der Entfernung nicht erkennen.
Er trocknet ihr den Rücken ab, dann bückt sie sich und streift sich das Wasser von den Beinen. Sie zieht sich an und sie gehen den Weg zurück. Arm in Arm. Er trägt die Tasche mit ihren Sachen. Sie grüßen. Kurz darauf hört sie, wie ein Auto angelassen wird und dann wegfährt.
Die ganze Zeit schon ist dieses Rauschen im Hintergrund, eigentlich ist es kein Rauschen, aber ihr fällt kein anderes Wort ein. Auf der anderen Seite des Sees, hinter der Baumreihe, die das Ufer säumt, muss die Autobahn vorbeiführen. Seltsamerweise hat sie diesen Ort als stillen in Erinnerung, sie bildet sich ein, das Platschen des Wassers zu hören, seine Hände, die auf die Oberfläche schlagen. Das Rauschen muss beim letzten Mal schon zu hören gewesen sein, sie hat es offenbar verdrängt. Vielleicht will sie, dass ihre Erinnerung an die Idylle nicht getrübt wird. Weil sich sonst nichts geändert hat, sogar die Enten schwimmen noch zwischen dem Schilf.
Durch ein vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg am 1. 6. 1959 an die KHSt. Freiburg/Br. gerichtetes Fernschreiben wurde mitgeteilt, dass im Ferien-Sonderzug D 966 eine gewisse Dagmar Kl. aus Heidelberg vermisst werde. Es wurde die Vermutung ausgesprochen, dass die Kl. einem Verbrechen zum Opfer gefallen sei. Der Verdacht verdichtete sich, als festgestellt wurde, dass der Ferien-Sonderzug D 966 am 1. 6. 1959, kurz nach 2.00 Uhr, südlich Freiburg/Br., etwa 500 m südlich des Bahnhofs Schallstadt durch Ziehen der Notbremse zum Halten gebracht worden war. Am Freitag, dem 5. 6. 1959, erhielt die Kriminalhauptstelle Freiburg/Br. um 07.00 Uhr von der Bahnpolizei Freiburg/Br. die fernmündliche Meldung, dass ein im Ruhestand lebender Eisenbahner frühmorgens beim Mähen der Bahnböschung ungefähr 100 m nördlich des Haltepunktes Ebringen eine Leiche unterhalb der Böschung in einem Graben entdeckt habe. Die Fundstelle befand sich etwa 2 km nördlich von dem Punkt, an dem am 1. 6. 1959 der D 966 zum Halten gebracht worden war. Gras und ein weißer Perlonunterrock waren über den Kopf und die Schulterpartie ausgebreitet. Nach Freilegung der Leiche wurden ein von oben nach unten aufgeschlitztes dunkles Wollkleid und Teile zerrissener Unterwäsche sichtbar. An dem sonst nackten Körper war neben komplizierten Knochenbrüchen am Ober- und Unterschenkel oberhalb des Brustbeines ein tiefer bis zur Wirbelsäule gehender Messerstich im Hals zu sehen. Es wurde erwogen, ob nicht ein Angehöriger der in der Umgebung von Freiburg/Br. stationierten marokkanischen Einheiten als Täter in Frage käme. Die Überprüfung aller in jener Nacht beurlaubten Marokkaner verlief jedoch negativ.
Er war ein Katalysator, wie die Fußballweltmeister von Bern, an denen richteten sie ihren Selbstwert auf, ihn aber konnten sie zum Sündenbock machen und von ihrer eigenen Vergangenheit ablenken. In ihm sahen sie den Teufel und konnten sich so den eigenen austreiben, ihn stellvertretend bestrafen für das Verbrechen, das sie fünfzehn Jahre zuvor an der Menschheit begangen hatten. Sie suchten die Katharsis. Man muss sich das vorstellen, ein Volk, das des größten Verbrechens der Menschheit bezichtigt wurde und nach diesen Erfahrungen die Todesstrafe abgeschafft hatte, gerät außer sich, weil ein junger, unglückseliger Mann vier Frauen tötet. Die Menschen versammeln sich vor dem Gerichtsgebäude und fordern die Todesstrafe zurück, ein Recht auf Mord! Es scheint, als sei er zur passenden Zeit gekommen, sie spürten, dass sie etwas zugelassen hatten, was in seiner Bestialität einzigartig war, und sie wussten, dass sie ihren Seelenfrieden nicht ohne Strafe würden finden können, ihr menschliches Gespür sagte es ihnen, und sie waren so erzogen, dass Strafe sein müsse, jeder von ihnen hatte das als Kind gelernt, aber natürlich wollte niemand wirklich zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, auf einmal wussten sie von nichts, und keiner wollte es gewesen sein. Aber dann kam er und sollte für die Millionen Morde bestraft werden. Sie wollten ihn lynchen, erschießen, vergiften, vierteilen, kastrieren, anzünden. In der Nähe von Bühl hatten Bauern fast einen Mann mit Mistgabeln zusammengeschlagen, weil sie
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