Als wäre es Liebe
hat man dann auch lieb.«
Es war im zweiten Jahr unseres Zusammenseins, als Anne mir eines Abends sagte, ihre Regel sei schon seit Tagen ausgeblieben. Sie sah dabei nicht glücklich aus, wir hatten es nicht mal darauf ankommen lassen, ein Kind war kein Thema zwischen uns. Sie nahm die Pille und eigentlich hatten wir nichts zu befürchten, aber sie war selbst auf einmal verunsichert, sie wollte am nächsten Tag einen Test machen, und solange keine Klarheit da war, wollten wir uns auch mit der Möglichkeit nicht beschäftigen. Aber natürlich machte ich mir Gedanken und sie sich mit Sicherheit auch. Im Moment, nachdem sie es mir gesagt hatte, bekam ich einen trockenen Hals, ich spürte, wie mir die Stimme in den Rachen rutschte und abhandenkam, ich konnte eine ganze Weile nichts darauf erwidern, saß nur da, ihr gegenüber am Tisch, und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich keinerlei Freude empfand. Der Gedanke, vielleicht Vater zu werden, belastete mich, ich versuchte, nicht daran zu denken, und als das nicht funktionierte, versuchte ich mir vorzustellen, wie ich meinen Sohn, seltsamerweise dachte ich sofort an einen Sohn, auf dem Arm hielt, wie ich ihn an mich drückte und mit ihm sprach, wie er neben mir im Bett lag, wie er meine Finger umklammerte, aber diese Bilder lösten keine Glücksgefühle aus. Dann stellte ich mir vor, wie ich meine Mutter besuchte, ihr den Enkel vorstellte und ihn ihr ungefragt in den Arm drückte. Es war die einzige Vorstellung, an der ich Gefallen fand. Mir wurde bewusst, dass ich sie noch nie mit einem Kind im Arm gesehen hatte. Ich denke, mir gefiel die Vorstellung, weil ich glaubte, sehen zu können, wie die Situation sie überforderte, wie sie mit dieser körperlichen Nähe zu kämpfen hatte und nach einer Möglichkeit suchte, das Kind wieder loszuwerden. Zum ersten Mal glaubte ich, ein Bild für ihre Beziehungslosigkeit vor Augen zu haben: meine Mutter, die ihren Enkel nicht halten konnte. Aber allein das konnte kein Grund sein, ein Kind bekommen zu wollen. Letztlich war ich erleichtert, als am nächsten Morgen der Test auf keine Schwangerschaft schließen ließ. Ich lud Anne zum Essen ein und stieß mit ihr an.
Ich habe nie den Wunsch verspürt, ein Kind zu haben, das hat sich bis heute nicht geändert. Ich habe keine Erwartungen an ein Kind, gleichzeitig aber die Ahnung, dass es eine Menge Erwartungen an mich hat. Ich glaube, ein solches Ungleichgewicht ist grundsätzlich keine gute Voraussetzung für eine Beziehung.
VPE STA MARTHA, NICARAGUA 1985
Ein kleiner Wasserfall ein paar hundert Meter vom Lager entfernt war unsere Dusche. Wir schliefen in Baracken auf großen Brettern, das Ungeziefer wurde jeden Abend mit Palmwedeln weggewischt. An manchen Tagen wurden wir von Wespenschwärmen attackiert. Fünf Kilometer von uns entfernt waren Einschläge von Mörsern zu hören. Der Krieg war so unwirklich, er passte nicht in diese paradiesische Landschaft. Das Lager lag hoch in einer saftgrünen Berglandschaft, von Regenwolken umhangen. Jeden Morgen versammelten wir uns zum Appell. Und intonierten internationalistische Sprechchöre. Viva el internacionalismo proletario. Dann zogen wir in Gruppen los, von zwei bewaffneten Männern begleitet. Ich gehörte zur Tartuega-Gruppe. Von 7 Uhr bis 13.30 Uhr ernteten wir ohne Pause. Auf 20 Kilo Kaffeebeeren brachte ich es mittlerweile. Das entsprach 88 Prozent vom Gruppendurchschnitt. Das Gelände, in dem wir ernteten, war sehr steil. Mittags gab es Reis, schwarze Bohnen und Maisfladen. Es belastete mich, mit anzusehen, mit welcher Geschwindigkeit diese freundlichen und fröhlichen Menschen, die während der Arbeit Liebeslieder sangen, ihre Gewehre auseinandernahmen und wieder zusammenbauten. Ich machte diese militärischen Übungen nicht mit. Ich habe dem Jefe erklärt, dass in kapitalistischen Ländern der revolutionäre Kampf anders aussehen müsse. Der Befreiungskampf in Europa hat eine ganz andere Dimension. Es geht darum, die Methoden von Gandhi, Martin Luther King, den Brüdern Berrigan weiterzuentwickeln. Die Contra sitzen in jedem von uns, ihre Waffen sind Resignation, Ekel, Stumpfheit, Gewohnheit, Blindheit und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber der Allmacht des Systems. Bei uns bedarf es einer Nonkooperation mit der Verwaltung und Regierung. Ich habe dem Jefe von den Grünen und den Menschenketten erzählt, aber er verachtete diese Form des Widerstands. In einem Gespräch abends erzählte er mir, dass sie nicht besiegt
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