Als wäre es Liebe
dem Rücksitz, schaute aus dem Fenster, aber er hielt sich weder am Griff fest noch am Vordersitz. Nur als es bergab ging und kurvig wurde, suchte er Halt. Sein Blick war so klar, so aufmerksam und anders als sonst, als er im Auto so gelitten und gegen seine Übelkeit gekämpft hatte. Er fragte mehrfach, wie lange es noch dauere, bis sie da seien. Er wurde nervös, als sie auf einer der Einfallstraßen nach Stuttgart in einen Stau gerieten und kaum noch vorwärtskamen. Sie sah, wie Fritzmann, der neben ihm saß, ihn nicht aus den Augen ließ. Als sie endlich ankamen, viel später als erwartet, war er der Erste, der ausstieg. Er zog sein Cordjackett zurecht, ein solches Jackett trug Kommissar Haferkamp im »Tatort«. Er hatte es sich bei einem seiner Ausgänge gekauft, weil er sich als Fernsehzuschauer immer mit dem Kommissar identifizierte und darauf hoffte, der Kommissar werde den Verbrecher schnell überführen. Es war das erste Mal, dass er das Jackett in ihrem Beisein trug. Er sah darin etwas unbeholfen und steif aus.
Sie hatte ihn im Scherz gefragt, ob er eine Verabredung habe, und er hatte sehr ernst mit »Ja« geantwortet.
Es war ein Dienstag, kurz vor Mittag, als sie in den Zoo kamen. Ein alter Mann im Jackett in Begleitung einer Frau, auf Schritt und Tritt von zwei Männern gefolgt; sie fielen auf zwischen Müttern, die Kinderwagen vor sich her schoben und einsame Alte, die auf Bänken saßen und den Tieren in den Käfigen zuschauten. Er sah all die Wege vor sich, die in verschiedene Richtungen führten, an verschiedenen Gehegen vorbei. Er stand da und wusste nicht, wohin. Er sah sich um nach etwas, das ihm Orientierung geben könnte. Und dann sah er die Voliere. Er lief hin, und sie hatten Mühe, Schritt zu halten. Eine ganze Schar von verschiedenen Vögeln im Käfig. Auf dem Gitter eine Reihe von kleinen Schildern mit Bildern und Beschreibungen. Sie erwartete, dass er Vogellaute von sich gab. Tschirep-tschirep. Oder tschilp-tschilp. Es hätte sie nicht verwundert, wenn er all die verschiedenen Dialekte beherrschte. Aber er tat ihr den Gefallen nicht. Er stand nur da und schaute zu. Hielt sich mit den Händen am Gitter fest. Ein paar der Vögel schienen ihn zu beobachten. Andere wiederum fiepten vor sich hin, putzten sich das Gefieder und schwangen sich zu kleinen Flügen quer durch die Voliere auf und schlugen dabei so hektisch mit den Flügeln, dass ein paar Federn zu Boden schwebten.
Sie sieht sich nach einer Bank um. Sie setzt sich, schließt die Augen und hält ihr Gesicht in die Sonne. Es ist der dritte Tag ihrer Reise. Sie hätte sich viel mehr Zeit lassen können, es gab niemanden, der auf sie wartete, im Verlag hatte sie Bescheid gegeben, dass sie krank sei. Aber etwas in ihr drängte sie, weiterzufahren. In Heidelberg hatte sie den Abend im Hotelzimmer verbracht. War nicht mal mehr etwas essen gegangen und entsprechend hungrig aufgewacht. Nach dem Frühstück hatte sie sich sofort ins Auto gesetzt und war nach Stuttgart gefahren. Einen kleinen Umweg hatte sie gemacht und die Straße nach Hohenasperg genommen. Sie war an den Weinreben vorbeigefahren und hatte das Auto abgestellt. Der Schicksalsberg mit seiner Festung, die als einzige der württembergischen über Jahrhunderte allen Angriffen getrotzt hat und später zu einer der bekanntesten politischen Strafanstalten wurde; wichtige Revolutionäre und Führer der demokratischen Bewegung wurden hier inhaftiert. Später auch Günter Sonnenberg, dem eine Beteiligung am Mord an Siegfried Buback angelastet wurde. Obwohl das Land solch eine Angst vor der RAF hatte und die Terroristen als größte Feinde der Bundesrepublik galten, kam Sonnenberg nach vierzehn Jahren auf Bewährung frei. Das war nicht mal ein Drittel der Zeit, die Friedrich dort verbracht hatte.
Auf dem Weg zum Gefängnis fuhr ein Gefangenentransport an ihr vorbei. Die nächste Opferseele, dachte sie. Woher kam der Glaube, dass Strafe Gutes bringen könnte? Ging es nicht vielmehr um Rache? Der Pfarrer sagte, dass Jesus ans Kreuz musste, weil er die Strafbarkeit in Frage gestellt habe. Im Mittelalter wurde nicht nach Beweggründen gefragt, die Tat wurde bestraft, nicht der Vorsatz, selbst Tiere und Kinder wurden gehängt. Heute wird nach dem Vorsatz gefragt, und davon hängt dann das Strafmaß ab. Aber ein Triebtäter denkt nicht, er handelt im Affekt! Wie absurd Strafe ist, zeigt sich allein darin, dass Taten in Zeit umgerechnet werden. Als gäbe es dafür eine Umrechnungstabelle. Aber
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