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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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verschlossen. Sie weiß noch, wie sie ihm damals gefolgt ist, nachdem er sich von den Vögeln verabschiedet hatte. Er blieb an jedem Käfig stehen, als wollte er sich von jedem Tier verabschieden. Auch von Tieren, von denen er mit Sicherheit noch nie gehört hatte. Sie erinnert sich noch an den Soldatenkiebitz, weil sie es absurd fand, ein Tier als Soldat zu bezeichnen. Der Vogel stand mit den Füßen im Wasser. Der Ausschnitt einer Landschaft hinter Glas. Ein Tümpel, Sand am Ufer, ein kleines Dickicht aus Schilf und anderen Wasserpflanzen. Er gab acht. Und wahrscheinlich hat ihm das seinen Namen eingebracht, dass er dastand wie ein Soldat auf Posten. Allerdings hatte er seinen Kopf eingezogen, schaute ein wenig missmutig drein und ließ den Hals verschwinden. Sie gingen an den Auerhähnen vorbei, an den Krokodilen. Sie lief hinter ihm her. Und ihr folgten Fritzmann und der Pfarrer in gewissem Abstand. Wie seine Entourage. Sie waren im Laufschritt unterwegs. Er eilte von Käfig zu Käfig, bis sie ins Schmetterlingshaus kamen. Sie mussten durch zwei Türen und standen dann in einer Art Gewächshaus. Es war warm und feucht in dem Raum, und überall flatterten Schmetterlinge herum. In allen Farben und Größen. Er blieb stehen, mitten im Raum, und folgte ihnen mit seinen Blicken. Er legte den Kopf in den Nacken, drehte sich, und dann breitete er seine Arme aus, und sein Jackett rutschte ihm die Hüften hoch und straffte sich bedenklich unter seinen Achseln. Außer ihnen war noch eine Mutter mit ihrem Sohn im Haus. Ein Junge von fünf Jahren, vielleicht auch sechs oder sieben. Er schaute ihn an, sagte: »Guck mal, Mama, was der Mann da macht.«
    Und die Mutter wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Sie sagte: »Schau mal da, ist der nicht schön, wie groß und bunt!« Und sie zeigte auf einen Schmetterling, der über ihren Köpfen hinwegflatterte. Aber der Junge interessierte sich nicht mehr für die Schmetterlinge. Er sah nur noch ihn an. Wie gebannt. Dann konnte auch die Mutter nicht mehr anders, als ihn zu beobachten. Allzu lange würde er so nicht stehen können, dachte sie, dafür waren seine Hände einfach zu schwer. Aber sie hatte seine Kraft unterschätzt. Fritzmann und der Pfarrer setzten sich auf eine Bank. Die Schmetterlinge schienen ihn nicht zu beachten, sie flatterten über ihn hinweg, setzten sich in sicherer Entfernung auf Äste und auf Fensterrahmen. Es war still im Raum. Niemand sprach. Selbst Fritzmann und der Pfarrer ließen ihre Blicke nicht von ihm. Es war, als spielte er toter Mann, und sie versuchten, ihn einer Bewegung zu überführen. Ein Zittern der Hände, ein Heben des Brustkorbs, ein Augenzwinkern. Allmählich machte sie sich Gedanken. War er ausgeflogen und hatte seine Hülle hiergelassen? Hatte er sich entpuppt? Vielleicht müsste sie ihm mit dem Finger in den Rücken piksen, um eine Regung zu provozieren. Schon gut, du hast gewonnen, jetzt kannst du wieder atmen.
    Um ehrlich zu sein, sie hasste dieses Spiel, weil es ihr als Kind einen Schrecken eingejagt hatte, als sie ihren Vater auf dem Sofa liegen sah und dachte, er schliefe. Sie hat ihn ganz fest angeschaut, weil sie wusste, dass man Blicke spürte. Sie konzentrierte sich auf seine Lider und war sich sicher, ein Zucken gesehen zu haben. Aber weil er nicht aufwachte, war sie sich dann doch nicht mehr sicher. Sie sagte leise »Papa, wach auf«. Aber er wachte nicht auf. Sie hätte ihn anfassen, an seinem Arm rütteln können, aber das konnte sie nicht. Und selbst als sie anfing, sich Sorgen zu machen, weil er vor ihr auf dem Sofa lag und nicht aufwachte, obwohl sie ihn angeschaut und angesprochen hatte, scheute sie sich davor, ihn zu berühren. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Außer ihnen war niemand im Haus. »Vater«, sagte sie, immer noch verhalten. Weil ihr auch das Schreien nicht gelang. Gleichzeitig hätte sie am liebsten ihre Hände zu Fäusten geballt und auf ihn eingetrommelt. Am Ende schloss sie die Augen ganz fest und suchte mit ihrer Hand seine. Noch heute glaubt sie, den Stoff des Sofas spüren zu können, diesen gerippten Stoff, der, wenn man nur lange genug mit nackten Beinen drauf lag, feine Furchen auf der Haut hinterließ.
    Und dann berührte sie seine Finger. Letztlich legte sie ihre Hand auf seine, und er schlug die Augen auf und sagte: »Ich wusste, dass du deinen Papa lieb hast.«
    Sie hatte keine Lust, sich auf Friedrichs Spiel einzulassen. Sie setzte sich auf eine noch freie Bank und

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