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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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der aus dem Hahn fällt und auf die Keramik des Beckens schlägt. Sie sieht Menschen vor sich, die sich zu Dutzenden in den Parks treffen und gemeinsam Bäume umarmen, jeder seinen, sie setzen sich auf die Wiese und warten, bis sich das kleine Nachtpfauenauge auf ihre ausgestreckten Hände setzt, sie knien auf allen vieren und bellen mit den Hunden und gurren mit den Tauben – was für ein Bild! Friedrich und seine Jünger. Vielleicht wäre das seine Art gewesen, Menschen glücklich zu machen. Aber sie sah sich nicht mitbellen oder Bäume umarmen. Der Pfarrer erzählte ihr, wie er als Kind an der Hand seiner Mutter aus dem Luftschutzkeller trat und die Straße entlangging, in der ihr Haus stand. Sie gingen inmitten einer Feuersbrunst. Und als sie vor ihrem Haus standen, brannte es lichterloh. Die eine Wand hatte sich vom Rest des Hauses gelöst und es sah aus, als hätte sich das Haus geteilt. Der Riss war mitten durch sein Kinderzimmer gegangen. Seine Mutter, das hat er nie vergessen, fing an zu lachen, er hat sie nie zuvor und nie danach so erlöst lachen gehört. Ein Lachen aus tiefster Seele, ein Lachen aus Erleichterung darüber, dass sie am Leben waren. Aber was sah sie? Keine Meereswellen, die ans Ufer schwappten. Kein gefurchtes Land aus dem ovalen Fenster eines Flugzeugs. Kein Spatz auf dem Balkon. Kein schlafendes Baby, das am Schnuller nuckelt. Kein Kind, das im Nordseestrand buddelt. Auch wenn sie sich gegen das Bild wehrte, sah sie sich als Mädchen zwischen ihren Eltern. Sie spazierten irgendwo, auf einem Weg quer durch die Natur. Der Vater nahm ihre Hand in seine, und es muss ausgesehen haben, als zöge er sie, weil sie sich innerlich wand und wollte, dass er ihren Widerstand spürte. Es hatte nichts Beschwingtes, wie sie so gingen. Manchmal versuchte er, sie fliegen zu lassen, wenn die Mutter ihre andere Hand nahm. »Engelchen, Engelchen, flieg!« Aber das Engelchen machte sich besonders schwer, sodass die Mutter ihre Mühe hatte, sie in die Luft zu reißen. Sie wollte nicht fliegen, nicht an seiner Hand, aber wenn es sie dann doch vom Boden riss und sie mit den Beinen voraus hochflog, konnte sie am höchsten Punkt meist doch ein Jauchzen nicht unterdrücken. Es kribbelte im Bauch, für einen Moment war sie schwerelos, und das bescherte ihr ein Lustgefühl. Und ihr Körper wollte noch mal fliegen und noch mal, und sie hasste ihn, weil er ihre Hand nicht losließ.

Manchmal frage ich mich, warum ich nie mit meiner Mutter gebrochen habe, so wie manch andere Kinder, wenn sie erwachsen sind und dann Konsequenzen ziehen aus dem schwierigen Verhältnis. Dass sich Eltern mit dem Alter ändern, darauf sollte man nicht hoffen. Ich kenne Geschichten von anderen Müttern, die ihren erwachsenen Söhnen mit einem Waschlappen hinterherlaufen oder als Erstes die Wohnung aufräumen, wenn sie zu Besuch kommen. Das sind Söhne, die sich manchmal meine Mutter wünschten. Weil die nie auf die Idee käme, mir einen Fleck aus dem Hemd zu waschen, sie weiß auch bis heute nicht, wie ich lebe, weil sie noch nie in meiner Wohnung war. Dafür kann sie mich bis heute nicht umarmen, nicht mal zur Begrüßung. Es ist schwer vorstellbar, dass sich das noch ändern wird.
    Warum aber komme ich doch jedes Mal, wenn sie mich anruft? Wenn sie mich bittet, ihren Ginkgo zu gießen? Warum lege ich nicht auf, wenn sie am Telefon ist und nur von sich erzählt? Weil ich doch die Hoffnung habe, sie könnte den Anfang machen, sie könnte ein Gespräch mal mit den Worten beginnen, »Benno, ich muss mit dir reden«? Und dann anfängt zu erzählen, alles, was sie mir noch nie erzählt hat, von Anfang an, und am Ende sagt, dass sie einen Fehler gemacht habe, einen großen, weil sie sich falsch entschieden habe im Leben. Was änderte das? Zumindest nichts an dem, was war. Das ist auch nichts, worauf ich hoffe. Aber es gibt etwas anderes, eine Sehnsucht in mir, vielleicht auch nur ein Wunsch nach dem Moment, in dem ich mich in ihr sehe, in ihr entdecke, was zu mir gehört, ich erkenne, was uns verbindet. Vielleicht eine Angst, eine Schwäche, vielleicht auch nur ein Blick, den ich aus dem Spiegel kenne, oder eine kleine Geste aus Verlegenheit, ein Berühren der Nase oder ein Lächeln aus Unsicherheit.

Das Schmetterlingshaus hat geschlossen, es befindet sich im Umbau. Sie versucht, einen Blick hineinzuwerfen, aber es scheint, als wären alle Schmetterlinge ausgeflogen. Der Raum ist leer, auf dem Boden liegen Werkzeuge, und die Tür ist

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