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Als wäre es Liebe

Als wäre es Liebe

Titel: Als wäre es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicol Ljubic
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und sagte, ich sei ein guter Junge und dass ihm meine Mutter Sorgen bereitete, schon immer. Und manchmal fragte er mich aus, was meine Mutter den ganzen Tag so mache, ob sie immer noch aktiv sei, aber ich verstand nicht, was es bedeutete, aktiv zu sein. Es sei nicht leicht für Eltern, sagte er, man wolle nur das Beste fürs Kind, gerade wenn es das einzige sei, aber nicht jedes Kind wisse das zu schätzen. Es war offensichtlich, dass die Beziehung zwischen meiner Mutter und meinem Großvater nicht die beste war. Die wenigen Male, die ich bei meinen Großeltern zu Besuch war, hatte mein Vater mich hingebracht, sie lebten damals in der Nähe von Freiburg, er ließ mich dort und kam zwei, drei Tage später zurück, um mich wieder mitzunehmen. Meine Großeltern ließen mich fernsehen, ich half meiner Großmutter beim Kuchenbacken, und ich konnte in den Wald, ihr Haus lag am Rande eines Dorfes. Ich erinnere mich, dass ich mal unterwegs war, einen Feldweg entlanggegangen und dann in den Wald geraten war und Pilze entdeckte und so viele wie möglich sammeln wollte, um meiner Großmutter eine Freude zu bereiten – ich hatte mein Hemd ausgezogen, die Pilze hineingelegt und es zum Sack geknotet.
    Als ich zurückkam, traf ich auf eine aufgebrachte Großmutter, die in der Küche am Fenster stand und gleich aufsprang, als sie mich sah. Sie lief mir entgegen und sagte: »Wo warst du? Kind, du kannst nicht einfach so verschwinden, ohne was zu sagen.« Dann schob sie mich in die Küche, schloss die Tür und musterte mich und ging einmal um mich herum. Sie hielt kurz inne, als hätte sie ein Geräusch aus einem der anderen Zimmer gehört. Holte dann wortlos einen Waschlappen und tupfte meinen Bauch ab. Ich war offenbar an einem Ast hängen geblieben und hatte mir die Haut aufgekratzt, ohne es gemerkt zu haben. Dann holte sie mir ein frisch gebügeltes Hemd und sagte, ich solle es anziehen. Man laufe nicht nackig in der Wohnung herum.
    Ich mochte das Haus meiner Großeltern, es war alt, hatte viele kleine Zimmer, im oberen Stock die Schlafzimmer, wo es meist düster war, weil die Rollläden tagsüber heruntergelassen waren. Ich schlief im Zimmer, in dem meine Mutter schon als Kind geschlafen hatte. Ich glaube, die Möbel waren dieselben, ein dunkles, schmales Holzbett, ein Schreibtisch, ein Kleiderschrank und ein Bücherregal, in dem noch ihre alten Schulbücher standen. Den Schrank hatte meine Großmutter bei meinem ersten Besuch ausgeräumt und die Kleider, die offenbar noch von meiner Mutter stammten, auf den Dachboden gebracht. Auch das Puppenhaus. »Das ist nichts für Jungs«, sagte sie. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass meine Mutter mal mit Puppen gespielt hatte. Aber auf dem Schreibtisch stand noch ein kleines Plastikpferd mit einem Schweif, den man offenbar kämmen oder striegeln konnte. Das Schlafzimmer meiner Großeltern durfte ich nicht betreten. Überhaupt musste ich immer anklopfen, bevor ich in ein Zimmer trat, dessen Tür geschlossen war. Im Flur führte eine Luke in der Decke zum Dachboden. Man brauchte eine Leiter, die neben der Treppe stand. Ich weiß noch, dass ich einmal oben war, ich hatte mir mit Mühe die Leiter geholt, ich glaube, meine Großeltern waren gerade nicht im Haus, zumindest hörte ich ihre Stimmen nicht, ich kletterte hoch und öffnete die Luke. Es war ein dunkler, enger Raum, nur an einer Stelle fiel durch ein kleines Fenster Licht hinein. Ich bewegte mich auf allen vieren über die Holzplanken und merkte an den Fingern wie staubig es war. Ich sah die Umrisse einiger Kisten. Die Kleider meiner Mutter. Bücher. Geschirr. Und in einer Kiste ein Fotoalbum. Ich nahm es heraus, robbte unter das kleine Fenster und betrachtete die Fotos. Es waren alte Schwarz-Weiß-Fotos von Menschen, die ich nicht kannte. Viele in Anzügen, als feierten sie etwas. Ein Brautpaar. Und dann ein Bild von einem Mann in Soldatenuniform. Ich kannte die Uniform aus Filmen. Und den Mann glaubte ich auch zu erkennen. Es war mein Großvater. Auf der Rückseite stand ein Datum: 20. April 1945. Ich wusste damals nicht, was für ein Tag das war, und später war es mir egal. Für mich blieb er immer der Großvater, der mir zur Begrüßung die Hand auf den Kopf legte und dessen tiefe, sonore Stimme ich so mochte. Als ich fünfzehn war, ist er gestorben. Und ich wunderte mich, dass weder mein Vater noch meine Mutter das Bedürfnis hatten, seiner Beerdigung beizuwohnen.

Sie weiß gar nicht, wie sie gefahren ist, sie hat

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