Als wäre es Liebe
änderte. Sie blieb ruhig, leise, und sie fragte sich, wieso man im Dunkeln leiser spricht, zum Flüstern neigt.
»Ich weiß es nicht. Stimmt denn etwas nicht mit dir?«
Die Beziehung zu der Freundin war am nächsten Morgen nicht mehr dieselbe. Als sie aufwachte und aus ihrem Zimmer trat, stand die Freundin in der Küche, vor der Spüle, wandte ihr den Rücken zu. Über dem Land schien die Vormittagssonne. Als sie dann draußen saß, auf der Bank vor dem Haus, sich Kaffee eingeschenkt hatte und ihre Füße ins Sonnenlicht hielt, setzte sich die Freundin zu ihr und sagte irgendwann, sie sei froh, dass sie ihr alles erzählt hätte. »Ich meine es ernst«, sagte sie. Und dass sie versuchen werde, es zu verstehen. Auch wenn es nicht ganz leicht sei. Sie fuhren dann am späteren Vormittag ans Meer, was nach einer Reise klingt, aber man hatte es vor Augen, die ganze Zeit während der Fahrt, bis auf drei Kurven, in denen die Sicht von Felswänden verdeckt war.
Auf dem Marktplatz des kleinen Orts waren die Stände aufgebaut, die meisten Menschen hatten sich schon in die Schatten geflüchtet, sie saßen in den Cafés oder standen in den engen Gassen, die vom Platz wegführten, und unterhielten sich. Die Freundin blieb an jedem Stand stehen und begutachtete die Tomaten, die geflochtenen Zöpfe aus Knoblauch, die Äpfel, Orangen, als hätte sie das alles noch nie gesehen, sie nahm eine Birne in die Hand, prüfte sie mit einem leichten Druck ihrer Finger, legte sie zurück, nahm die nächste und suchte das Gespräch mit dem Verkäufer. Letztlich ging es nur darum: Signora, o sole mio. Eine Gabe, dich zu meinen, ohne dich zu meinen. Es ist so leicht, dem Trug zu verfallen, wenn man nach Zuneigung sucht. Und sich hinterher vom eigenen Bedürfnis zu distanzieren. »Die Männer hier geben einer Frau noch das Gefühl, eine Frau zu sein«, sagte die Freundin.
»Was sind das für Männer die sich von ihren Müttern bekochen lassen.«
Die Freundin hielt sich zurück, sie biss sich auf die untere Lippe und führte dann die Tasse zum Mund und tat, als beobachte sie den Marktplatz. Sie wusste, was sie dachte. Und deiner?, dachte sie, der ist ein richtiger Mann? Einer, der Frauen umbringt und dann eine Brust zum Anlehnen braucht. Und du gibst ihm ausgerechnet deine? Dann schon lieber ein Muttersöhnchen, als einen Mörder. Vielleicht bildete sie sich auch nur ein, zu wissen, was die Freundin dachte. Vielleicht war es gar nicht die Freundin, die mit der Situation nicht umgehen konnte, sondern sie selbst. Aber was machte das für einen Unterschied? Es war, als setzte allein das Sprechen über ihn eine zerstörerische Energie frei. Sie redete sich ein, dass es anders wäre, wenn sie ihn sehen, ihn leibhaftig erleben würde, so wie die Menschen an den Tagen, an denen sie zusammen draußen waren. Sie haben ihn geliebt, weil er wie ein Kind war, so erwartungsvoll, weil er gesungen hat, wenn ihm danach war, oder mit den Enten gequakt.
Sie hatten sich bemüht, die restlichen Tage miteinander zu verbringen, als wäre das Gesagte nie gesagt. Am letzten Abend saßen sie wieder vor dem Haus. Die Kulisse war die gleiche, draußen am Tisch, das Teelicht, Wein, Lichter am Meer. Es kündigte sich auch kein Gewitter an, das die Hitze der vergangenen Tage abkühlen wollte, kein Wind, der sie frösteln ließ, nur der Abschied, der am nächsten Morgen bevorstand.
»Du liebst ihn, oder?«
Natürlich hatte sie auf die Frage gewartet, weil es die Frage ist, die so naheliegend ist und die sie sich selbst immer wieder gestellt hat, die Frage, deren Antwort alles erklärt oder vermeintlich erklärt. Aber in jenem Moment kam sie doch unerwartet. Er hat ihr diese Frage nie gestellt. Und hätte er sie gestellt, sie hätte nicht gewusst, was sie hätte antworten sollen. In der Vorstellung der Menschen ist die Liebe etwas Vollkommenes. Vielleicht ist sie sogar die Sehnsucht des Menschen, der selbst so unvollkommen ist, nach etwas Göttlichem, das die Vergebung in sich trägt. Ihre Liebe aber war nicht vollkommen, das wusste sie.
Sie weiß nicht, wie lange die Freundin auf ihre Antwort gewartet hat. Das Teelicht brannte noch. Und die Sterne leuchteten noch.
»Ich denke schon«, sagte sie.
»Weiß Benno davon?«, fragte die Freundin.
»Nein«, sagte sie.
Sie weiß gar nicht, warum sie es der Freundin erzählt hat. Doch, sie weiß es. Es war nicht, weil sie Antworten erwartete. Oder Fragen, die sie sich selbst noch nicht gestellt hatte. Sie wollte spüren, wie
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