Als wäre es Liebe
Mal mit den Fingerknöcheln gegen die Scheibe. Sie nickt und öffnet das Fenster. Sofort strömt die frische Nachtluft ins Auto, ein kurzer Schauder überkommt sie. Er sagt etwas, das sie nicht versteht. Weil sie nicht reagiert, wiederholt er auf Deutsch: »Sie können hier nicht parken.«
»Scusi«, sagt sie. Er macht seinem Kollegen ein Zeichen. Sie blickt in den Rückspiegel und sieht ein Polizeiauto hinter ihr stehen.
Die Fahrertür wird geöffnet. Ein weiterer Polizist steht neben dem Auto. »Haben Sie Probleme?«, fragt er.
»Nein«, sagt sie und schüttelt den Kopf. »Alles in Ordnung.«
Er sieht wieder nach seinem Kollegen. »Papiere, bitte«, sagt er. Aus ihrer Handtasche kramt sie den Führer- und den Fahrzeugschein und reicht ihm beides. Er hält sie unter das Licht seiner Taschenlampe. Dann leuchtet er ihr ins Gesicht. Er nickt und gibt ihr die Papiere zurück. »Sie müssen weiterfahren.« Sie verspricht ihm, weiterzufahren.
»Seien Sie vorsichtig«, sagt er zum Abschied, und sie sieht im Außenspiegel, wie er zum Auto geht, kurz mit sei-$Z$nem Kollegen redet und dann auf der Beifahrerseite einsteigt. Sie haben die Innenraumbeleuchtung eingeschaltet, und sie sieht, wie beide nebeneinandersitzen und offen-$Z$bar darauf warten, dass sie losfährt. Sie klappt den Spie-$Z$gel hoch, ohne noch mal einen Blick hineingeworfen zu haben. Sie lässt den Motor an, vergewissert sich, dass die Autobahn frei ist, und fährt los. Im Rückspiegel sieht sie, wie sich auch das Auto der Carabinieri kurz darauf in Bewegung setzt.
Sie hat die Orientierung verloren. Sie weiß nicht, wo sie gerade ist, ob sie überhaupt auf der richtigen Autobahn fährt. Der Himmel ist verhangen, es sind nur vereinzelt Sterne zu sehen, als schwache Punkte, vom Mond ist nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen. Um sie herum ist es dunkel. Sie kann nicht mal erkennen, ob die Landschaft schon ins Bergige übergeht oder ob sie noch durch die Ebene fährt. Sie könnte von der Autobahn abfahren und hoffen, in einer Ortschaft ein Zimmer zu finden. Sie sucht nach Lichtern, einer Ansammlung von Lichtern am Rande der Autobahn, bald kommt auch schon eine Abfahrt. Aber wenn sie abfährt, bringt sie das noch weiter vom Weg ab. Sie fährt weiter, und dann sieht sie ein Schild, das auf einen Parkplatz hindeutet. Sie fährt ab. Sie ist die Einzige. Sie hält, stellt den Motor ab, schaltet das Licht aus. Das Meer wird auch morgen noch da sein. Sie kann nicht mehr, sie braucht eine Pause. Sie klappt ihren Sitz nach hinten, so weit es geht. Es ist nicht bequem. Und kalt wird es werden. Sie steigt noch mal aus, öffnet den Kofferraum und wundert sich, wie wenig Gepäck sie dabeihat. Einen Koffer. Nicht mal groß. Keine Rucksäcke, kein Mückenspray, kein Zelt, keine Sonnencreme, keinen Proviant. Mit einem kleinen Koffer fängt man kein neues Leben an. Sie öffnet ihn und zieht einen Pullover heraus. Dann legt sie sich wieder ins Auto und versucht zu schlafen. Wann hat sie das letzte Mal im Auto übernachtet? Die ersten Tage in Berlin. Sie hat schon lange nicht mehr an jene Tage gedacht. Aber jetzt, nach so langer Zeit mal wieder im Auto schlafend, kommt die Erinnerung wieder. Sie hatte Bernhard nicht gesagt, dass sie wegfuhr, nur einen Zettel hinterlassen. Hatte einfach morgens das Nötigste gepackt, es ins Auto geladen und ist losgefahren. Sie wollte nach Berlin. Weil sie von ein paar Leuten wusste, die nach Berlin gegangen war. Sie brauchte ihre Freiheit, ihre Unabhängigkeit. Sie hatte kein Kind gewollt. Aber es war passiert. Sie hatten beide viel getrunken. Und dann war er es, der sagte, er würde sich kümmern. Sie muss sich keine Vorwürfe machen, wirklich nicht. Und sie war ja da, als er später nach Berlin kam. Es mag sein, dass sie keine gute Mutter war. Aber sie hatte auch ein Leben, und sie war nicht bereit, es aufzugeben. Vielleicht war sie darin einfach ehrlicher als andere Frauen.
Sie hört ein Auto, das neben ihr hält. Sie hört eine Tür schlagen, Schritte auf dem Asphalt, dann das Plätschern auf dem Beton. Irgendwann röhrt ein Auto mit kaputtem Auspuff über die Autobahn. Sie versucht, sich auf die Seite zu legen, und bleibt dabei mit den Beinen unter dem Lenkrad hängen. Es ist eine Tortur, aber zumindest fällt sie phasenweise in den Schlaf. Sie weiß nicht, wie spät es ist, als sie das nächste Mal aufwacht. Sie friert. Das Auto ist mittlerweile ausgekühlt. Für einen Moment ist sie erschrocken, sie muss etwas geträumt haben, versucht,
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