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Als wir Roemer waren

Als wir Roemer waren

Titel: Als wir Roemer waren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Kneale
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eingefallen. Ich hab gedacht, »vielleicht ist sie auf dem Balkon.« Da sind wir nämlich kaum draufgegangen, weil Mum gesagt hat, das Geländer gefällt ihr gar nicht, obwohl man von da eine schöne Aussicht hatte, auf eine Kuppel. Ich bin in die Küche gegangen, wo die Balkontür war, und es war komisch, wie wenn ich gar nicht wirklich nachgucken wollte, falls sie vielleicht doch nicht da ist, ich hab gedacht, »und was mach ich dann?«
    Aber sie war da, sie hatte sich einen Stuhl mit rausgenommen und saß in der Sonne. Ich hab gedacht, »au gut«, aber nicht lange, weil ich nämlich gemerkt hab, dass sie ein ganz trauriges Gesicht gemacht hat. Bei Mum ging das immer ganz schnell, in der einen Sekunde ging es ihr gut, und dann war es auf einmal, wie wenn ein großer Strahl auf sie draufgeschienen hätte, so dass es ihr schlechtging. Ich hab gedacht, »nicht schon wieder«, und ich hab mich sogar geärgert, ich hab gedacht, »grad gings dir doch noch gut, wieso kannst du nicht einfach fröhlich bleiben?« Ich hab gesagt, »hallo, Mum«, aber sie hat mich noch nicht mal angeguckt, und hallo hat sie auch nicht gesagt, bloß mit ihrer Gähnstimme, die wie ein Keuchen war, »ich kann nicht mehr gegen ihn kämpfen, Lawrence. Er kommt bestimmt bald wieder, das weiß ich, er setzt sich wieder in eine Ryanair.«
    Ich hab gedacht, »ich verrate ihr meinen Plan, dann
berappelt sie sich wieder«, und ich hab gesagt, »auch wenn er wiederkommt, kann er uns diesmal nichts anhaben, weil wir jede Menge Wasser haben, sieben Flaschen hab ich schon vollgemacht.« Aber es hat überhaupt nichts geholfen, sie hat mit der Hand gefuchtelt, wie wenn sie wütend ist, wie wenn sie von mir Kopfschmerzen kriegt, und gesagt, »mein Gott, Lawrence, wach endlich auf. Siehst du denn nicht? Wir werden niemals sicher sein, er kriegt uns, wenn er will. Wir können ihn nicht aufhalten, da hilft kein noch so guter Plan, er vergiftet einfach die Luft oder bricht die Tür auf, ihm fällt schon was ein.«
    Ich hab mich auf den Balkon gesetzt, und plötzlich war ich todmüde. Ich hab die Kuppel angeguckt und gesehen, dass sie ein Gerüst hat, und ich hab gedacht, »alles kaputt. « Ich hab gesagt, »aber was sollen wir jetzt machen?« Mum hat nicht geantwortet, es war, wie wenn auf einmal ihre ganzen Batterien leer waren, nachdem sie böse auf mich geworden ist, wie wenn sie keinen Saft mehr hatten. Ich hab sie angeguckt, aber sie hat sich überhaupt nicht bewegt, sie hat stocksteif auf ihrem Stuhl gesessen, die Arme ganz feste an die Seiten gepresst, wie wenn sie ein Vogel sein wollte, wie wenn ihr kalt war. Ich hab gedacht, »was soll ich jetzt machen«, und ich wusste es nicht, es gab nichts. Also hab ich einfach dagesessen, ewig lange, ich hab gehört, wie unten die Autos vorbeifahren und manchmal eine Straßenbahn, und ich hab auch ein bisschen gefroren, es war windig da draußen. Ich hab gedacht, »meine Pläne funktionieren nie, ich kann Mum nicht helfen, ich kann nicht dafür sorgen, dass wir sicher sind.« Ich hab gedacht, »Mum denkt, das mit den Wasserflaschen hätt ich mir sparen können.« Ich hab gedacht, »komisch, es ist, wie wenn wir auf einem hohen Berg spazieren gegangen sind, und plötzlich kommen wir an den Rand von einer steilen Felswand, und wir können auch nicht mehr zurück, und
wir sitzen für immer und ewig auf dem Berg fest.« Ich hab gedacht, »ohne Mum kann ich keine Flaschen mehr vollmachen, weil ich das alleine nicht schaffe. Ich weiß nicht, wo ich Hunderte leere Flaschen herkriegen soll, und ich kann kein Italienisch.«
    Plötzlich hatte ich eine Stinkwut, ich hab gedacht, »jetzt ist alles kaputt.« Und da hab ichs dann gesagt. Es war eigentlich nicht im Ernst, ich habs nicht wirklich so gemeint. Ich hab gesagt, »vielleicht sollten wir einfach …«, und es war wie ein Witz, ehrlich, mein »vielleicht sollten wir einfach …« Es war ein Witz da drüber, was wir machen können, dass Dad nicht kommt und uns kriegt.
    Mum hat nichts gesagt. Ich hab gedacht, »sie findet gar nichts mehr gut, was ich sage, sie findet noch nicht mal meine Witze mehr gut«, aber dann ist mir was aufgefallen. Sie saß zwar immer noch stocksteif auf ihrem Stuhl, die Arme wie ein Vogel, aber ihre Augen waren nicht mehr ausgeknipst, es war auf einmal, wie wenn sie wach waren, wie wenn sie überlegt haben. Dann hat sie den Kopf rumgedreht, ganz ganz langsam, und sie hat mich angeguckt und gesagt, »weißt du was, Lawrence? Vielleicht hast du recht,

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