Als würde ich fliegen
erschienen und in die Halle gespäht hatte. Er wurde still. Sein Puls raste. Er wollte nicht sprechen, aus Angst, dass seine Stimme eine fremde wäre, und auch nicht lachen, aus Angst, ein grässliches, schrilles Geräusch zu machen, das den ganzen Raum zum Schweigen und Starren bringen würde. Er glaubte, er hätte Blueys Glocke, Carlas Stimme gehört. Er wollte weg. Das grün-goldene Mädchen flüsterte ihm genau im richtigen Moment ins Ohr: »Ich habe Lust auf einen Spaziergang. Hast du auch Lust auf einen Spaziergang, Matheus?«
Endlich ließ sie den Goldfisch los. Die frühe Morgenluft strich ihm kühl übers Gesicht. Vor ihnen erstreckte sich endlose Weite. Sie liefen durch den dahintreibenden, blühenden Park und hielten sich an den Händen wie Kinder, lachten wie Kinder. »Ich habe das Gefühl, ich kenne dich schon ewig«, sagte sie, und die Bühnentür lag Monate hinter ihm. Ihr Haar hüpfte und federte, sie sah aus, als stünde sie in Flammen, ihr Grün verschmolz mit dem Gras, die Sandalen waren fort. Sie liefen und liefen, bis sie zu einer schattigen Stelle aus duftenden Sträuchern kamen, und dort zog er seine allererste Linie. Er verlor sich, sie küssten sich, er war nicht bei der Sache, er war viel zu high, doch ihre Lippen waren weich wie Treibsand, und das Gefühl, als sie diesen Muskel massierte, war gut. Sie wollte ihm noch näher sein und glitt mit ihren kühlen Porzellanhänden unter sein Hemd, öffnete seinen Reißverschluss; sein Herz raste. Du bist berauschend, zischelte sie, berausche mich, Matheus, du bist perfekt, oh bitte. Und so ging er in sie, es war ein herrlicher, perfekter Moment, während eine Stimme im Innern sanft protestierte. Sie durchtränkte ihn, sog ihn in sich ein. Er schloss die Augen. Doch der Moment verging. Die Büsche rochen plötzlich übel, wie ein gewöhnlicher Ort für einen schnellen Fick. Ihre Münder waren voller Partyrauch. Heb mich hoch, stöhnte sie. Sie war überraschend schwer. Sie schlang ihre fleischigen, arroganten Beine um ihn und atmete heiß an seinen Hals, doch sie wurde so schwer, dass sie auf den Boden sanken, wo er augenblicklich aus ihr hinausglitt. Das hab ich nicht gewollt, dachte er. Das hab ich echt nicht gewollt.
Als Carla eines Nachts alleine mit Denise zu Hause war, wurde sie von einem Schrei in der Nähe geweckt. Sie ging ans Fenster, trat aufs Deck, um nachzuschauen, was los war. Es war niemand zu sehen. Als sie wieder nach innen kam, nahm sie Denise aus ihrem Bettchen und legte sie zu sich. Du solltest bei mir sein, sagte sie im Geist zu Antoney. Du solltest richtig bei mir sein. Zwei Tage später stand in der Zeitung, dass im Ladbroke Grove ein Mord geschehen war, am Ufer des Grand Union Canal. Das Opfer war eine junge Frau, die auf dem Heimweg von der Arbeit ans Wasser gezerrt und dort vergewaltigt worden war.
Antoney sah Audrey Callaway einige Wochen lang nicht und hoffte schon, er würde sie niemals wiedersehen. Die Shows in der Edgware Road hatten kein weiteres Interesse erregt. Im Juli wartete sie wieder auf ihn, diesmal in der Lobby des Sphinx in Earls Court. Er war dort mit einem Solostück aufgetreten, im Rahmen eines Modern-Dance-Abends mit mehreren Tänzern. Diesmal trug sie eine weiße, duftige Bluse, die an der Taille von einem roten Gürtel zusammengehalten wurde, kombiniert mit roter Handtasche und passenden Schuhen. Riley war zu Antoneys moralischer Unterstützung ebenfalls zu der Show gekommen. Audrey schlenderte heran, als sich die beiden gerade unter die Menge mischten.
»Matheus«, strahlte sie. »Wie schön, dich wiederzusehen.«
Das Gespräch erstarb. Riley hatte gerade mit einem Kollegen über Antoneys Musikauswahl diskutiert, die, so fand Riley, in eine neue, interessante Richtung wies. Antoney stimmte dem zu und wollte sich gerade ausführlich darüber äußern, doch als er Audreys Stimme hinter sich hörte, verlor er den Faden. Er erstarrte wie ein Reh, das den Jäger spürt.
»Habe ich Sie gestört? Das tut mir leid. Ich wollte diesem begabten jungen Mann nur zu seiner hervorragenden Leistung gratulieren. Dem stimmen Sie doch sicherlich zu?«
Der andere Kritiker versuchte es erneut mit einer Bemerkung über die Musik, danach verfielen alle wieder in Schweigen. Riley setzte ein prekäres, albernes Lächeln auf und schaute gespannt zu Antoney, während Audrey mit wachsendem Amüsement zwischen beiden hin und her sah und dringend darauf wartete, dass Antoney sie miteinander bekannt machte. Schließlich
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