Als würde ich fliegen
da liegen, hör auf!«
Lucas hatte die Schreibmaschine vom Tisch geschleudert, sie prallte vom Stuhl ab und schlug auf den Boden auf. »Ich will wissen, wo er hingegangen ist!«
Riley hastete eine Antwort hervor, er stolperte über die Worte. »Ich hab noch einen Brief von ihm bekommen, darin stand, dass er nach Kuba wollte, darauf baue ich auf – da wollte er immer hin, weißt du noch? Er ist in den Osten gefahren, an einen Ort namens Baracoa, am Meer.«
»Weiter.«
Riley war nicht sicher, was er als Nächstes sagen sollte. Er stammelte eine Weile sinnloses Zeug, wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat. »Er ist mit dem Bus gefahren, von Guantánamo aus. Nach der Revolution wurde eine Brücke durch die Berge gebaut, er wollte seinen Vater und seine Großmutter suchen.«
»Ach ja?«
»Aber er hat sie nicht gefunden, und dann – dann hat er sich da niedergelassen. Es gibt eine Tanzschule in Guantánamo, dort gibt es auch Shows, und manchmal geht er …«
»Na was, dann ist er noch da?«
»In meiner Version – ja. So habe ich es mir ausgedacht . Ich sage nicht, dass es so ist.«
»Sie Lügner. Sie verdammtes Arschloch.«
»Um Himmels willen!«
Rileys Stuhl wurde umgeworfen, gemeinsam mit dem Schreibtisch, was einige Anstrengung kostete. Reihe um Reihe leerte Lucas die gebogenen Borde, riss eines aus seiner Verankerung. Bücher, Ballerinas und Fotografien schepperten, Glas zersprang. Er schleuderte die Schreibtischlampe gegen die französischen Fenster. Riley hatte noch versucht, ihm die Lampe zu entreißen, wurde aber weggestoßen. Als Lucas Flüche und Vorwürfe ausstieß und wie ein wildes Tier röchelte, floh Riley aus dem Zimmer, seiner Katze dicht auf den Fersen. Lucas war nicht bewusst, was er tat. Alles stürzte, und er stürzte mit. Unter ihm war kein fester Boden, nie mehr. Lucas war genau wie die Dinge, die er zerstörte, hohl, unverständlich, konstruiert. Ein überflüssiger Mensch. Ein Poltergeist.
Währenddessen klopfte Riley hysterisch an die Tür seiner Nachbarn. Als ihm das junge Paar endlich im Nachthemd öffnete, sah es noch, wie Lucas über den Pfad stolperte und davonstürmte.
In stürmischen Nächten, in wilden Nächten, in Nächten, in denen das Boot erzitterte unter den Blitzen, die krachend vom Himmel fuhren, und so stark schaukelte, dass vieles verrutschte, wenn der Regen gegen die Fenster trommelte und der Donner die Bäume und Kreuzdornbüsche schüttelte, in solchen Nächten erklang eine Stimme. Du brauchst keine Angst vor dem Gewitter zu haben, das ist nur die Nacht, die sich räuspert. Das ist nur Peterjohn, sagte die Stimme.
Lucas rannte, voller Sehnsucht nach ihrem Anisgeruch. Sie wurden in der Eile heimisch. Frackschöße peitschten im Wind. Vor Jahren, sagte Toreth dann immer und strich die Decke unter seinem Kinn glatt, lange vor deiner oder meiner Geburt, war die Portobello Road nur eine raue Landstraße. Kannst du dir vorstellen, über die Portobello Road zu gehen, zwischen Hopfenfeldern hindurch, und die Nachtigallen singen? Es war eine lange, stille, durchlöcherte Straße, staubig im Sommer und schlammig im Winter und, wie fast jedes offene Gelände in den Städten jener Zeit, war sie das Revier von Straßenräubern. Was ist ein Straßenräuber?, fragte Lucas dann immer, obwohl er die Antwort schon kannte. Das waren Männer mit schwarzer Maske und Umhang, die Uhren stahlen, wenn die Leute aus dem Haus waren. Hatten sie Waffen? Manchmal, erwiderte Toreth. Peterjohn aber nicht. Wer ist Peterjohn? Das will ich dir ja erzählen, aber du unterbrichst mich ständig. Die meisten Straßenräuber nämlich, Lucas, waren Trunkenbolde. Sie waren »dem Schnaps zugetan«, wie man es damals genannt hätte, sie waren vulgär, und sie stanken. Peterjohn aber war anders. Er hatte neun Kinder. Wirklich?, fragte Lucas. Ist das auch wirklich wahr? Natürlich ist das wahr – ich würde euch Kinder doch nie belügen! Glaub mir, neun Kinder, und er war zum Räuber geworden, damit er für sie sorgen konnte. Eines Tages wurde eines der Kinder krank, der jüngste Sohn, Peterjohns Liebling. Der Junge war sehr krank. Ein Gewitter kam auf, und Peterjohn stieg auf sein Pferd, um zu sehen, ob er etwas für seinen Sohn finden konnte, und weißt du, was dann mit ihm geschehen ist?, fragte Toreth. Nein, was ist denn geschehen? Nun, mein Schatz, unter einem Ahornbaum auf einem Heufeld traf ihn der Blitz. War er tot?, fragte Lucas. Nein, Lucas, er war nicht tot. Und in dem Moment, als
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