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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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– sie hatten sich lange nicht gesehen. Die Situation war wegen der früheren Spannungen ein wenig unbehaglich, aber das legte sich, als Carla über Simones Kompliment, sie sähe großartig aus, lachte und es eine »unverschämte Lüge« nannte. Sie unterhielten sich eine halbe Stunde lang auf offener Straße, tauschten Neuigkeiten aus; Simone fragte nach Denise. Simone hatte bislang kein Glück mit dem Vortanzen gehabt – Carla fiel auf, dass ihr der Hochmut aus ruhmreichen Tagen ein wenig vergangen war –, aber Ekow hatte es gut getroffen und eine Rolle in einem Musical im West End ergattert, Gone with the Wind , das im Theatre Royal in der Drury Lane lief. Carla müsse es sich unbedingt ansehen. Sie verabschiedeten sich herzlich, mit dem lockeren Plan, sich nach der Geburt des Babys einen Verwöhntag in der Rushwood-Sauna zu gönnen, so wie früher.
    Antoney gab sich unbeeindruckt, als er von Ekows Engagement hörte, doch er war wahnsinnig neidisch. »Du könntest mal mit mir hingehen«, sagte Carla. »Du könntest mal mit mir ins Theater gehen, anstatt immer Besen oder Landkarten zu kaufen.« (Die Landkarten, es gab sie auf dem Markt, in psychedelischen Rahmen, gehörten zu Antoneys jüngsten unerklärlichen Anschaffungen. Bislang hatte er Polen und Kuba erworben.) Am Tag vor Heiligabend ging er mit Carla zu Gone With the Wind , Denise blieb bei Toreth. Carla hatte sich extra ein neues Kleid gekauft, ein bodenlanges, hellbraunes Umstandsmodell mit Glockenärmeln. Sie hatte keine passenden Schuhe dafür und trug ein Paar alter, schwarzer Treter. Antoney zog zunächst ein weißes Hemd an, aber sie riet ihm zu dem roten, weil ihm das am besten stünde. Sie zupfte ihm im Schlafzimmer den Kragen zurecht und strich den Stoff über seiner Brust glatt, dabei drückte ihr Bauch gegen seinen. Er sah liebevoll auf sie hinunter. »Mein schöner, unergründlicher Mann«, sagte sie. »Meine wahre und einzige Königin«, erwiderte er.
    Sie nahmen den 23er ins West End, das unter seinem Weihnachtsschmuck funkelte und glitzerte. All die Lichter mit ihren Farben, die leuchtenden Kaskaden über der Oxford Street, die Schaufenster und die Straßenlaternen – es war einer dieser berückenden Abende, an denen London der strahlendste Ort auf der Welt ist. Carla hatte das Gefühl, dass ihnen die Stadt zu Füßen lag. Sie drückte Antoneys Hand, als sie in Erinnerungen an ihre früheren Busfahrten schwelgten, sie strahlte innerlich vor lauter Glück, dass sie nach all der Zeit noch so viel Liebe für ihn verspürte. Auch wenn er sie manchmal wütend oder fassungslos machte, auch wenn er bisweilen selbstsüchtig war, es würde immer Momente wie diesen geben, in denen alles war, als wäre es neu. Die tiefen Falten auf seiner Stirn und der kurze, unordentliche Afro, den sie vor ihrem Aufbruch noch zu glätten versucht hatte, bestärkten sie in ihrem Gefühl. Sie wusste, auch später noch, wenn er grau und verblüht war, würde sie so für ihn empfinden. Es würde immer besser werden mit den Jahren, mit der Summe der gemeinsamen Erfahrungen.
    Sie hatten billige Plätze auf dem oberen Balkon. Ekow hatte zwar nur eine Rolle im Chor, aber mit seinem weittragenden Charme stach er heraus. »Ich bin richtig stolz auf ihn. Ich glaube, Ekow wird es noch weit bringen«, sagte Carla in der Pause, die sie unter dem Vorwand, dass Carla ihre Füße hochlegen musste, auf ihren Plätzen verbrachten. In Wahrheit hatte Antoney Angst, Bekannten aus Tanzzeiten über den Weg zu laufen und sich der Frage zu stellen, was er denn dieser Tage so machte. Es fiel ihm schwer, in einem Theater zu sein, noch dazu in einem so prachtvollen, wenn ihm die Garderoben und der Bereich, der hinter der Zauberkunst lag, verschlossen blieben. Er hatte sich allein auf die Schwachstellen der Aufführung konzentriert und bemängelte die schlichte Choreografie und die einfallslose Positionierung. »Ach, nun sei nicht so ein Miesepeter, es ist wunderbar!« Ekow auf der Bühne zu sehen, machte es noch schwerer. In der zweiten Hälfte konnte er es nicht mehr ertragen. Er ging zur Bar.
    Der Raum war verlassen, bis auf einige Raucher, die sich im Kreis um ihre Chesterfields drängten, und zwei Frauen auf Barhockern. Antoney setzte sich an die Theke und kippte seinen Drink in einem Zug herunter. Es war so ungerecht, dass Ekow da oben stand und er vergessen war. Er war ein Niemand, ein gefallener Stern. Er wollte einen zweiten Drink, konnte sich das aber nicht leisten. Dabei hatte es

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