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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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weiterhin als Journalist. Antoney arbeitete wieder Teilzeit auf dem Bau. Sein Körper verlor an Form. Riley fiel auf, dass die Arme erschlafften, ihnen fehlte der Tanz. Obwohl Riley selbst recht prüde war und sich bei jedem Gang ins und aus dem Badezimmer etwas anzog, lief Antoney oft ohne Hemd herum. Wenn Antoney durch den Korridor ging, betrachtete Riley die Berge und Täler auf seinem Rücken; er kannte schließlich jede Faser, jeden müden Muskel, als wäre dies sein Privatgebirge. Als er eines Abends aus dem Theater heimkehrte, überraschte er Antoney in der Badewanne. Er stammelte eine Entschuldigung und stürmte aus dem Zimmer, aber das Bild der geliebten Brust mit ihrem borstigen schwarzen Haar, der starken Waden und der Genitalien, die durch die Wasseroberfläche brachen, ließ sich nicht löschen. Riley fiel es schwer, nicht daran zu denken, wenn er Antoney ansah. Es war, als hätte er den Schatten im Gras gesehen, dessen wahre Form und wahres Wesen sich ihm zum allerersten Mal offenbarten.
    Er war froh, dass über Carla nur wenig gesprochen wurde. Als sie von der Europatournee als Ehepaar zurückgekehrt waren, war Riley am Boden zerstört. Er hatte nur mit großer Mühe die Fassung bewahrt, als sie gemeinsam im Westbourne Grove Café auf ihn zugekommen waren, zu einem Mittagessen, zu dem er sich mit Antoney alleine verabredet hatte. Ihre Knöchel hatten sich berührt, der Ausdruck einer verfestigten Intimität, und ihr frauliches Strahlen kam, wie Riley erfahren sollte, von ihrer Schwangerschaft. Er hatte immer gedacht, dass man mit Carlas Wesen schnell fertig wäre, sie für eher oberflächlich gehalten, mit einer gewissen Neigung zu Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit, aber dem größeren Verlangen, sich in die Konformität führen zu lassen. Die Frischvermählten waren auf banale Weise schön und groß. Der Schwur hatte sie sanktioniert, überschrieb jedes andere Wort, ließ sie stumm strahlen und ihn verblassen. Sie waren weniger als zuvor, und doch mehr. Antoney hatte sich die übliche Begrüßung, Rileys Hand herzlich mit beiden Händen zu umschließen oder ihn schwungvoll und freundschaftlich zu umarmen, verkniffen. Nun gaben sie sich die Hand, förmlich, als wären sie Bekannte. Riley verübelte es ihnen beiden, weil sie ihm das Recht auf ein wahres Wiedersehen mit seinem Freund versagten.
    Antoney hatte offenbar akzeptiert, dass seine Ehe beendet war. Obwohl er Carla sichtlich vermisste, verlor er darüber kein Wort. Wohl aber erwähnte er im März, dass das Baby in diesem Monat kommen sollte und er so gerne bei der Geburt anwesend wäre. »Glaubst du, sie lässt zu, dass ich ihn sehe?«
    »Woher weißt du, dass es ein Junge wird?«, fragte Riley.
    »Ich weiß es einfach. Es ist mein Sohn. Glaubst du, ich kann sie sehen? Womöglich ist es ja schon passiert.«
    »Das liegt bei dir«, sagte Riley, und ein Grauen ließ sich tief in ihm nieder.
    Jedes Mal, wenn Antoney von dem Kind sprach, reagierte Riley derart distanziert; das Thema sorgte für eine stete unterschwellige Spannung. Antoney erwähnte es daraufhin eine Weile nicht mehr, offenbar interessierte es Riley nicht – entweder mochte er Kinder nicht, oder er fand, dass Antoney sich vergebens mühte. Antoney kaufte ein Geschenk für seinen Sohn, einen kleinen hölzernen Spielzeugbus, den er über den Boden rollen konnte. Eines Nachmittags machte er sich damit auf zum Kanal. Toreth saß an Deck, mit dem Baby auf dem Schoß. Es hatte ein winziges braunes Gesichtchen und strampelte mit den Beinchen. Antoney musste laut lachen, mit einem Kloß im Hals. Obwohl er immer noch einen Schlüssel zum Tor hatte und es ihn schmerzlich drängte, den Jungen in die Arme zu nehmen, zu fühlen und zu riechen, brachte er den Mut nicht auf, vorwärtszugehen und sein Geschenk zu überreichen.
    Die Diskrepanz zwischen der glücklichen Geburt seines kleinen Jungen und seiner Entfremdung von Carla verstörte ihn. Riley ging auf, dass Antoney es mitnichten akzeptiert hatte. In vielen Nächten blieb er ruhelos. Riley hörte von seinem Schlafzimmer aus, wie Antoney in der Küche rumorte oder sich aber ein Bad einließ. Manchmal stand er auf und setzte sich zu ihm, denn er wusste, wie schwer die Nächte sein konnten, wenn ein Mensch sehr traurig war. In einer solchen Nacht erzählte Antoney Riley von der hässlichen grauen Masse, die er hinter seiner Schulter spürte, ein staubiges, dreckiges, verklumptes Drahtgewirr, das ihm folgte, wohin er auch ging. Und in seinem

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