Als würde ich fliegen
respektlos«, sagte er leise.
»Sag, wie lange hast du als Prostituierte gearbeitet?«
»Auf so etwas gebe ich keine Antwort. Warum versuchst du nicht, mich zu verstehen – du weißt doch, wie wichtig mir meine Arbeit ist.«
»Das war mir immer bewusst, Antoney. Und ich wünschte, ich hätte mich früher schon entsprechend verhalten.«
»Bitte, setz dich doch.«
»Fass mich nicht an. Wie lange?«
»Na gut.« Nun war er an der Reihe, auch er konnte gemein und hartherzig sein. »Warum erzählst du mir nicht ein bisschen von dir und Bluey?«
»Was hat denn Bluey damit zu tun?«
»Zwischen euch beiden war doch was.«
»Bluey ist tot . Er war mein Freund. Du solltest dich schämen.«
»Für mich sah das nicht nach Freundschaft aus.« Aber er wusste, dass er an Boden verlor. Er verstrickte sich nur immer mehr.
»Hast du allen Ernstes vor, einen toten Jungen vorzuschieben, um deine Haut zu retten?«
Darauf wusste er nichts zu sagen. Sie fragte ihn aus, er murmelte Antworten, sie forderte ihn auf, lauter zu sprechen. Als sie ihn fragte, wo er für das Mädchen »gearbeitet« habe, verlor er die Fassung und wurde laut. Sie sah sich um. Er dachte, sie würde nach einem Gegenstand suchen, den sie ihm an den Kopf werfen könnte, und wurde sehr traurig. Dabei stellte sich Carla bloß vor, wie das Zimmer ohne ihn aussehen würde, wenn nur noch sie mit den Kindern dort lebte. Sie sank auf den Sessel. Das Zimmer wurde größer, die Entfernung zwischen ihnen wuchs, dann aber schrumpfte es völlig zusammen. »Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas einmal passiert«, flüsterte Carla. Ein kalter Wind erfasste den Rumpf.
»Baby, es tut mir so leid«, sagte er.
»Ich weiß. Nur eine Frage noch. Hast du ihr gesagt, dass du verheiratet bist?«
»Von Anfang an.«
»Gut.«
Sie lächelte, aber der Ausdruck auf ihrem Gesicht änderte sich nicht. Nichts geschah in ihren Augen, in dem Moment, als sie lächelte.
»Es ist gut, es ist vorbei, du kannst jetzt gehen.« Sie nahm ihren Mantel von der Garderobe und ließ Antoney stehen. »Ich hole Denise ab. Es wird nicht lange dauern. Pack deine Sachen. Ich will dich hier nicht mehr sehen, wenn ich zurückkomme.«
»Wirf mich nicht raus.«
Er schien den Tränen nahe, doch sie tröstete ihn nicht, denn sie waren nicht, was sie waren. »Es ist zu spät. Ich hab dich gewarnt.«
»Aber, wo soll ich denn hin?«
»Geh doch zu Riley oder wohin auch immer – mir egal.« Sie öffnete die Tür.
»Warte. Ich hol sie ab«, sagte er. »Lass mich wenigstens noch eben Denise holen.«
»Nein.«
»Nun nimm doch Vernunft an, Mädchen. Es ist da draußen um die Zeit nicht sicher.«
»Uns passiert schon nichts.«
Er konnte sich nicht länger beherrschen. Er sank zusammen, aus purer Enttäuschung, und flehte um Vergebung. »Hör mir zu. Es hat, es hat nichts bedeutet. Ich liebe dich doch.«
»Nein, jetzt hörst du mir zu.« Sie kam zu ihm zurück, nun war ihr Ausdruck lebhaft, doch es war der blanke Hass. »Du bist ein Egoist, Antoney, ein scheiß Egoist. Du nutzt alle nur aus. Du hast mich ebenso benutzt wie diese Schlampe, wie Bluey und alle anderen auch, damit du auf deinem Teppich rumfliegen konntest und jemanden hast, der dich auffängt, falls es mal schiefgeht. Werd endlich erwachsen. Ich mach das nicht länger mit. Ich lasse nicht zu, dass du mich jemals wieder beleidigst.« Und mit diesen Worten trat sie hinaus aufs Deck.
Toreth bestand darauf, Carla und Denise zum Boot zu begleiten. Sie hatte Carla angeboten, bei ihr zu übernachten, aber Carla beharrte darauf, in ihrem eigenen Bett zu schlafen. In jener Nacht, aus einem Impuls heraus, drehte sie sich auf die Seite, wie es ihr die Wahrsagerin geraten hatte. Weihnachten feierten sie zu dritt. Am Neujahrstag fror der Grand Union Canal zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zu.
Riley mochte sich auf Fotos nicht. Entweder lächelte er seltsam oder schaute zu ernst. Oft blickte er auch von der Kamera weg. Manchmal hatte er Angst, dass allen klar war, worauf er schaute.
Als Rileys Bruder fünfzehn wurde und Riley dreizehn war, hatten ihre Eltern ein Fest im Garten ihres Hauses in Finchley gegeben. Ihre Mutter hatte, weil ihr Jüngster die Angewohnheit hatte, sich von Gesellschaft fernzuhalten, zwei Schwestern aus der Nachbarschaft eingeladen. Sie kamen in Sommerkleidchen mit Schleifen im Rücken und Söckchen, die aus ihren Schuhen hervorschauten. Der Himmel war wolkenlos, ein reines helles Blau. Das ältere Mädchen, eine hübsche
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