Als würde ich fliegen
meinem Benehmen?«
»Du und Ekow, ihr zwei macht nur Ärger.« Zu Rileys Erleichterung zog Antoney sein T-Shirt an. Sie sprachen eine Weile über Ekow, Simone sagte, sie könne ja versuchen, ihn zu etwas mehr Zurückhaltung zu bewegen – schließlich wolle sie nur das Beste für die Truppe –, aber Antoney sei manchmal wirklich sehr eigensinnig. Es schien, als würde er ihr zustimmen.
Coltrane bewegte sich auf das abschließende »Psalm« zu, Antoneys Lieblingsstück. Simone sagte, und dabei schlich sich die Verführerin wieder in ihre Stimme: »Warum zeigst du mir nicht, woran du heut Abend gearbeitet hast? Vielleicht überrasche ich dich. Vielleicht kann ich etwas beitragen, etwas Besonderes. Etwas, was kein anderer Mensch auf der Welt dir geben könnte.«
Sie näherte sich Antoney erneut, diesmal glitten ihre unwürdigen Hände an seinen Armen empor und schlossen sich hinter seinem Hals. »Wir könnten gemeinsam daran arbeiten«, schlug sie vor und presste ihren Körper gegen seinen. Sie fühlte sich offenkundig nicht wohl dabei, sich ihm so anzubieten – sie wirkte peinlich. Riley hätte sie am liebsten verscheucht, wie eine Fliege von einem rohen Steak.
Antoney schien amüsiert. »Simone«, sagte er, »du machst dich zum Narren. Ich steh nicht auf dich.«
Sofort schnellte ihr Kopf zurück – eine Hand rieb über den anderen Ellbogen, als ob sie sich gestoßen hätte –, sie machte einen grazilen Schritt in Richtung Tür, Riley wich zurück. Dann aber fuhr sie zornig herum. Alles Verführerische war fort. Das war Simone de Laperouse, wie man sie kannte, hochmütig, fordernd und selbstsüchtig.
»Antoney«, sagte sie. »Ich bin die einzige ausgebildete Tänzerin in dieser Truppe. Ich bin gut genug für Rambert, aber ich habe dich gewählt. Ich trainiere härter als alle anderen, ich gebe bei jeder Show, bei jeder Probe mein Bestes – ich verdiene den Status der Haupttänzerin. Du hast verdammtes Glück, jemanden wie mich an Bord zu haben, und das weißt du. Warum also, Herr Künstlerischer Leiter, haben Sie mir noch immer kein Solo gegeben?«
»Ein Solo?«
»Ja, ein Solo.«
»Das also willst du? Ein Solo?«
»Ich werde mir wohl kaum selbst eins choreografieren«, sagte sie beleidigt.
Antoney lachte. »Und warum sagst du das nicht einfach, Mädchen? Hättest dich nicht rausputzen müssen, als wolltest du zu den Marshall-Brüdern.«
Er lachte wieder über die Musik hinweg, er bog sich vor Lachen vor und zurück, eine ganze Weile lang. Riley wäre beinahe mit eingefallen.
»Du weißt wirklich, wie man einer Frau schmeichelt, was?«
»Keine Sorge, Baby«, sagte er, beruhigte sich wieder und nahm einen ordentlichen Schluck aus einer Tasse. »Ich schreib dir eines Tages ein Solo. Du hättest mich ganz einfach fragen können. Das machen wir, ich versprech’s dir.«
Sie warf ihm einen obszönen Blick zu, die kleine Adlernase in der Luft, dann machte sie den gleichen grazilen Schritt in Richtung Tür, die Hand am Ellbogen. Und plötzlich war Antoney, so sollte er es Riley an jenem Abend später noch erklären, von ihrem Profil, der leichten Höckernase, dem empörten Mund vollkommen gefesselt. Um sie herum leuchtete alles, wurde lebendig, vor allem zu ihren Füßen und um den Hals herum. Antoney hatte das seltsame Gefühl, dass sein Blut heißer strömte, dass alles in ihm beschleunigt, in Aufruhr war. Coltranes Saxofon im Hintergrund. Die Frau, der Vogel, sie verschmolzen mit dem Saxofon. Wie durch ein Wunder erschienen ihm die ersten Schritte ganz deutlich vor Augen. Er ging auf Simone zu, zittrig, wie ferngesteuert.
»Es muss nicht einmal ein Saxofon sein«, murmelte er. »Etwas anderes ginge auch.«
»Was?«, raunzte sie.
»Mach das noch mal. Was du gerade getan hast.«
Lucas hörte all das in der Senke auf Rileys altem Sofa. Seine Fragen wurden immer zugespitzter, immer karger. Hatte Carla das jemals herausgefunden? Warum war sie so launisch? Wie hatte Antoney seinen Kaffee getrunken? Die Notizen blieben aus, als Louis Miguel endlich seinen Griff lockerte und Lucas, Sohn von Antoney, in die Geschichte seines Vaters eintauchte. Es war das erste Mal, seit er den Kirschholzschrank geöffnet hatte, dass er sich selbst darin sah, in Antoneys Rastlosigkeit und Unsicherheit, in den melancholischen Morgenstunden. Rileys Arbeitszimmer verwandelte sich von einer geschmacklosen Rumpelbude in einen köstlichen Schrein; hier hatte Antoney einst geschlafen, hier, auf diesem Sofa, hier hatte er einst
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