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Als würde ich fliegen

Als würde ich fliegen

Titel: Als würde ich fliegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Evans
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gestanden, dort drüben bei den Fenstern, wo Rileys Erinnerungen an ihn am stärksten waren. Die weißen Vorhänge blähten sich im Wind, umwehten seinen großen, starken Körper. Für Lucas war es, als hätte er endlich festen Boden unter den Füßen. Und Riley legte all seine Feindseligkeit ab, er war nett und zuvorkommend, regelrecht glücklich, sein Wissen mit jemandem teilen zu können, der all dem so nahestand. Er servierte Lucas Tee, in einer angeschlagenen Tasse, und bot ihm sogar trockene Bourbon-Kekse an. »Es ist bemerkenswert, dass du gerade jetzt erschienen bist«, sagte er. »Ich durchlebe gerade selbst so etwas wie eine schöpferische Blockade.« Dabei zupfte er sich ständig, es schien ein nervöser Tic zu sein, am Bart herum. Obwohl er sich geöffnet hatte, strahlte er immer noch eine unüberwindbare Distanziertheit aus.
    Riley schrieb dieser Tage nur wenig für die Tanzpresse. Das Dancing Eye war 1982 eingestellt worden. Stage schickte ihn gelegentlich nach Euston, ins The Place mit seinen unbequemen Sitzen, aber Rileys Fingerspitzen kribbelten nicht; seine Seiten wurden immer leerer. Er war zu dem Schluss gelangt, dass sich ein Leben auf mehr als ein paar Seiten in einem Magazin oder ein paar Textspalten in einer Zeitung belaufen sollte. Er arbeitete vorwiegend an seinem Buch, und das nun schon seit siebzehn Jahren. Einen Verleger hatte er bislang nicht, hoffte aber auf Interesse, wenn das Projekt erst einmal beendet war. Nach außen hin schien es, als besäße Riley keines der Accessoires, die das Alter mit sich bringt, keine tote Frau, keine Kinder, keine Enkel. Er hatte seit den Sechzigern in derselben Wohnung gelebt und diese offenbar nie renoviert. Auf die Frage, warum er so lange für das Buch benötigte, sagte er einfach, und damit meinte er Antoney: »Er will nicht vergessen werden.«
    Lucas sah sie vor sich, Antoney und Riley, zwei Männer, die die Welt nach ihren Vorstellungen formen konnten. Sie gingen bis zum höchsten Punkt der Ladbroke Grove in jener warmen, stillen Nacht des März 1969. Es war vier Uhr morgens. Riley hatte die Kirche unbemerkt verlassen und war nach Hause gegangen, wo ihn Antoney, mit einem smaragdgrünen Wildledercape aus dem Kostümfundus und einem flackernden Lächeln, in den frühen Morgenstunden weckte. Er bat ihn, mit ihm und »den Geschöpfen der Nacht« spazieren zu gehen. Riley fühlte sich wie ein Kind, an dessen Seite ein Zauberer wandelt. Sie gingen stundenlang umher, den Holland Park Boulevard entlang, um den großen Kreisverkehr von Shepherd’s Bush, die Wood Lane hinunter bis nach Harlesden. Antoney sprach unentwegt von »Bird«, seiner ersten, ureigenen Schöpfung. Ihm sei nie zuvor aufgegangen, wie beschwörungsmächtig Simone war. Er musste sie nur beobachten. Sie tat genau, worum er sie bat, und doch tat sie so viel mehr, indem sie einfach nur sie selbst war. »Es war, als ob der Tanz auf uns gewartet hätte, und wir mussten nur noch gemeinsam hineingehen.« Antoney tanzte auf die Straße, um eine Sequenz vorzuführen. Es wirkte mit seinem Cape vollkommen albern und wurde nur knapp von einem Auto verfehlt. Er war leichtsinnig, entflammt. Er würde Europa erobern. Das Leben war grenzenlos.
    An der Spitze des Hügels blieben die Männer stehen. Sie sahen hinab auf violett schlafende Straßen, die Äste noch beinahe bloß unter der ersten Frühlingsblüte, auf Armeen von Kaminen und bernsteinfarbenen Laternen. Antoney legte den Arm um Rileys Schulter und kam mit seinem Gesicht sehr nahe.
    »Siehst du das Schimmern da draußen, Riley, da hinten am Rand der Erde? Diesen leuchtenden Streifen? Diese geheime Macht? Das Schimmern? Da draußen?«
    »Meinst du die Lichter?«, fragte Riley.
    »Ja«, sagte Antoney lächelnd. »Das Licht. Das liebe ich so an dir. Du weißt immer, wovon ich spreche.« Sie standen schweigend in der Stille, Rileys Herz klopfte, Antoney sah auf den Horizont und dessen fernes, gelbliches Leuchten. »Das da draußen«, sagte er, »das verleiht mir den Glauben an mich selbst.«
    Du Versager, dachte Denise. Du Drückeberger, fauler, selbstsüchtiger Penner.
    Sie wartete auf Lucas. Er hätte um halb fünf da sein und ihr beim Transport für das Mittagessen der Heilsarmee helfen sollen. Jetzt stand sie da in ihrer Zimmermannshose und den vernünftigen Schuhen, während die Ware in einem Kistenstapel auf dem Boden darbte, die Sonnenblumen in schmalen Metalleimerchen vor dem Stand warteten, die Orchideen nahe bei Denise. Sie hielt in der

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