Als würde ich fliegen
…«
»Ich hab doch klipp und klar gesagt, es wird nicht geschwommen.«
»Und Rosina hat …«
»Was hat Antoney gemacht, du Irrer?«
Er rieb sich den Hinterkopf und murmelte: »Ich mein mich zu erinnern, dass er mit dem Boot rumgemacht hat.«
»Dem Boot? Welchem Boot?«
»Dem Boot aus der Hütte. Er hat es rausgezogen.«
»Alphonso, sag mir bitte, dass er nicht raus aufs Meer gefahren ist.«
»Na, ich kann mich nicht richtig erinnern. Ich glaub aber nicht, sonst würd ich mich ja wohl erinnern, aber sicher bin ich nicht.«
»Danke. Das hilft sehr«, sagte Simone.
Die Suche dauerte noch immer an, als um viertel vor zehn die ersten Gäste eintrafen. Einige alternde Minister, die auftoupierte Schauspielerin in einem Ossie-Clark-Kleid samt Geliebtem, eine mächtige Frau mit einem sehr hohen, sehr ausladenden Hut, die Tänzer des Königlich Dänischen Balletts, die Journalisten (vier an der Zahl), Kristines rustikalere Schwester aus Fünen und ein Schwarm von Nichten und Neffen. Der Graf, so sollte sich am Ende herausstellen, war leider unabkömmlich.
In den Schlossgärten erklangen Gespräche und zivilisiertes Gelächter. Dem Ereignis war ein herrlicher, sonniger Tag beschieden – obwohl die Atmosphäre ein wenig kühl war, wie es bei Hochzeiten eben so ist, deren Gäste Braut und Bräutigam nicht eigentlich kennen, und das traf hier nun wahrlich zu. Die Baronesse, in einem arg jugendlichen Kleid mit Seitenschlitz, sprang mit ihrem Champagnerglas hin und her, ergriff Hände, zupfte die Krägen der Kinder zurecht, wies auf die Mitglieder des Midnight Ballet – vor allem auf den nunmehr geduschten Fansa, der ihr nie wirklich von der Seite wich, auf Benjamin, der bei der Suche nach Antoney half und sich zugleich die Kanapees schmecken ließ, auf The Wonder, der nicht half, sondern ruhig unter der Zypresse wartete und sich, als ihn die Schauspielerin ansprach, als verwirrender und spröder Gesprächspartner erwies. Die Zwillinge suchten Antoney. Simone und Ekow boten ebenfalls einen eher flüchtigen Anblick, da sie die Suche leiteten.
Sie schauten in jedes der dreißig Zimmer. Sie schauten unter Betten, hinter Vorhänge, in den Wald, hinter Büsche. In der Strandhütte war niemand. Das Boot jedoch war fort. Dafür fanden sie Antoneys Schlangenlederschuhe, samt Socken, am Anfang der Mole. Simone war überzeugt, dass er ertrunken war, doch ihre Aufgabe als Trauzeugin sah vor, Carla in ihrer Suite regelmäßige, beruhigende Besuche abzustatten – Carla weigerte sich herauszukommen, ehe sie nicht überzeugt war, dass Antoney in der Nähe war. Gleichzeitig hielt Simone es aber auch für angebracht, sich unter die glamourösen Gäste zu mischen und ihre Besorgnis gekonnt zu überspielen. Trotz all der Aufregung verspürte sie etwas, das sie als die Bewunderung der Gäste für ihre tänzerisch-schlanke Grazie und ihren dünnen, anmutigen Hals deutete. Doch bei all dem treppauf, treppab, den gehetzten Geheimkonferenzen mit Ekow und der Mühe, die diamantenbesetzte Braut nicht spüren zu lassen, dass sie belogen wurde, wenn es hieß, dass Antoney nahe war, bei all dem Trubel verschwitzte sie leider ihr Sonnenblumenkleid.
Um halb elf hatte er sich noch immer nicht blicken lassen. Carla begann, langsam aus dem Kleid der Baronesse zu steigen, und sagte sich, dass es so besser sei, dass es so richtig sei, dass sie es immer gewusst habe. »Wo ist Bluey?«, fragte sie wieder. »Wo steckt er? Ich will ihn sehen.« Simone wusste nicht, wo Bluey war, aber sie bat Carla, das Kleid noch nicht auszuziehen. Bitte, sagte sie, nur noch ein paar Minuten.
Sie warteten und warteten. Als die Gäste zu tuscheln begannen, wurde die Baronesse diskret hysterisch und bedeutete allen, Mr. Matheus werde durch eine plötzliche Angelegenheit auf Leben und Tod, die seine Mutter betraf, aufgehalten. Lippen nippten am Wein, Hände spielten an Gläsern herum. Der Standesbeamte wartete, die Tuberosen, die in Kränzen und Girlanden vom Pavillon hingen, warteten auch. Zehn Minuten vor elf. Fünf Minuten vor elf.
Um fünf Minuten vor elf zerfiel Carlas Gesicht. Sie zog das Kleid aus, ließ es auf dem Boden liegen und ging zum Fenster, um auf die Weide zu schauen. Die Pferde schlugen immer noch mit dem Schweif, als wäre nichts geschehen. Sie weigerte sich, noch eine einzige Träne zu weinen. Sie massierte langsam und kreisend ihr kleines Geheimnis und sagte ihm, dass sie schon zurechtkämen, sie beide. In der Ferne erschien eine Gestalt auf dem
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