Also lieb ich ihn - Roman
– Hannah schniefte ein bisschen – »aber können Sie das nicht besser beurteilen als ich?«
Dr. Lewin lächelte knapp. »Du scheinst doch erkannt zu haben, dass es keine Garantie geben kann, weder für Henry noch für irgendeinen anderen. Mit diesem Umzug gehst du ein Risiko ein, das ist vollkommen vernünftig und gesund.«
»Wirklich?«
»Du bist sechsundzwanzig«, sagte Dr. Lewin. »Warum nicht?« Kommentare wie dieses
Warum nicht?
waren eine recht neue Entwicklung, begünstigt durch Hannahs Bruch mit Oliver: Nach all den Jahren war Dr. Lewin ein bisschen lockerer geworden. Als Hannah ihr einmal anvertraut hatte, dass sie beim Sex mit Oliver stets das Gefühl hatte, sich gerade eine Geschlechtskrankheit einzufangen, hatte Dr. Lewin entgegnet: »Warum lässt du es dann nicht einfach sein und kaufst dir statt dessen einen Vibrator?« Offenbar hatte Hannah große Augen gemacht, denn Dr. Lewin fügte hinzu: »Das ist nicht illegal.« Unwillkürlich fragte sich Hannah, ob Dr. Lewin sie vielleicht vermissen würde, zumindest ein klein wenig.
»So jung ist das auch wieder nicht«, sagte Hannah. »Es ist anders als mit zweiundzwanzig.«
»Du hast keine Verpflichtungen, das ist das Entscheidende. Darum ist es auch nicht leichtfertig, ein Wagnis einzugehen.«
Das Wagnis, das Hannah eingehen wollte – das sie eingeht –, besteht darin, nach Chicago zu ziehen; so möchte |270| sie herausfinden, ob sie und Henry möglicherweise mehr verbindet. Das hatte sich recht kurzfristig ergeben. Figs Hochzeit (Fig nannte es Hochzeit – »Treuegelöbnis klingt so
schwul
«) fand im Juni statt, eine elegante Zeremonie im kleinen Kreis, im Séparée eines Restaurants an der Walnut Street in Philadelphia. Zoe trug einen weißen Hosenanzug, Fig ein schlichtes weißes Kleid mit Spaghettiträgern, beide hippe, schöne Erscheinungen. Figs Brautjungfern waren Allison und Hannah, während Nathan und Zoes Bruder statt einem Bräutigam Zoe Geleit gaben. Figs Geniestreich war es aber, Frank für die Durchführung der Zeremonie zu gewinnen; damit erlangte sie den stillschweigenden Segen der älteren Generation, die eigenen Eltern eingeschlossen. Frank erfüllte seine Aufgabe mit Würde und Herzlichkeit, während Figs Eltern die Feier durchaus zu genießen schienen. Beim anschließenden Abendessen brachte Nathan, nachdem er einige Martinis intus hatte, einen Toast aus und begann mit den Worten: »Wer hätte denn gedacht, dass diese männermordende Schlampe jetzt auf Frauen steht?«
Und ja: Henry war da. Unverkennbar, auch wenn Hannah ihn seit dieser College-Episode nicht mehr gesehen hatte; bestimmt hatte Fig ihn nur eingeladen, um Hannah eine Freude zu machen. Beim Empfang saßen er und Hannah nebeneinander, und sie kamen ganz leicht ins Gespräch. Anstatt irgendwann abzuflauen und sich in Belanglosigkeiten zu erschöpfen, wurde ihre Unterhaltung im Lauf des Abends immer animierter und gehaltvoller. Es gab so unendlich viel zu erzählen, er langweilte sie kein einziges Mal mit seinen Geschichten – so war er am Nachmittag, nach dem Einchecken im Hotel, im Fahrstuhl steckengeblieben, zusammen mit einer neunundachtzigjährigen Russin, die ihn bald mit Piroggen fütterte und mit ihrer Enkelin verkuppeln wollte, dabei hatte sich Henry, wie er |271| sagte, beim Verlassen des Fahrstuhls schon fast in die Greisin selbst verliebt; sie hieß Mascha. Hannah und er sprachen auch über das, was Henry Figs »Sinneswandel« nannte und ihn keineswegs zu verstimmen schien. Er meinte dazu: »Wie soll ich mich nicht für sie freuen? Noch nie habe ich sie so im Einklang mit sich selbst erlebt.« Als Hannah ihm alles über Oliver anvertraut hatte, sagte Henry: »Klingt nach einem totalen Schwachmaten, Hannah. Der hat dich nie und nimmer verdient.« Da hatten sie beide schon einiges getrunken, es war nach Mitternacht, als der Empfang seinem Ende zustrebte. »Und mit dem teilst du dir noch das Büro?«, fragte Henry. »Muss ja die Hölle sein. Du solltest mal raus aus dieser Stadt.«
»Ich weiß aber nicht wohin.«
»Egal. Die Welt ist so groß. Komm nach Chicago. Chicago ist eindeutig besser als Boston.«
Sie sah ihn von der Seite an, mit der Andeutung eines Schmollens. Dieses Spiel beherrschte sie jetzt so viel besser als damals im College – jede Wette, dass sie jetzt auch viel besser aussah. Die Haare trug sie kinnlang, die Brille hatte sie gegen Kontaktlinsen eingetauscht, das schulterfreie Modell, das Fig für die Brautjungfern ausgesucht hatte,
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