Also lieb ich ihn - Roman
nicht, sagte nichts Merkwürdiges und fragte nicht nach Suzy, weil ich mir außerdem noch vorgenommen hatte, nicht länger so zu tun, als unterhielte ich mich gern über seine Freundinnen.
Danach hatten wir zehn Tage keinen Kontakt. Ich rief ihn absichtlich nicht an und war stolz, dass ich es so lange aushielt. Bis er mich an einem Dienstagmorgen bei der Arbeit erreichte – ich dachte:
Aber ja, er kann einfach nicht anders
– und sagte: »Große Neuigkeit, hoffentlich freust du dich mit.« Dann fuhr er fort: »Suzy ist schwanger.« Da waren die beiden noch keine vier Monate zusammen.
Zum ersten Mal nahm ich die Gegenstände auf meinem Schreibtisch
wahr
– das rote Mousepad, den Becher voller |308| Stifte, den Stapel Plastikhefter: So deutlich hatte ich sie zuvor noch nie gesehen.
»Ich brauche deine Unterstützung«, sagte er, und ich starrte auf den breiten Rücken des Chicagoer Telefonbuchs. »Meine Familie flippt völlig aus.«
Schließlich fragte ich: »Wie weit ist sie denn?«
»Neunte Woche.«
»Und ihr wollt nicht abtreiben?«
»Weißt du eigentlich, was du da sagst, Hannah? Auch wenn es jenseits deiner Vorstellungskraft liegt: Wir wollen dieses Baby. Es ist mehr als ein Zufall.«
»Soll das heißen, Suzy hat die Pille zufällig abgesetzt?«
»Wie sexistisch ist das?«, rief er. »Für mich ist es einfacher als für sie. Sie geht noch zur Uni. Aber wir lieben uns.« Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, er meint uns. »Ich wünschte, du würdest es uns nicht so schwer machen«, sagte er schließlich.
»Wer macht es hier wem schwer?«
Er schwieg.
»Wollt ihr beiden denn heiraten?«, fragte ich.
»Noch nicht, aber später schon.«
»Was sagt ihre Familie dazu?«
»Die freuen sich. Wir waren letztes Wochenende da. Großartige Leute.«
Ich dachte an den Nachmittag zurück, als wir nach Cape Cod gefahren waren, und überlegte, inwiefern Henry sich seit damals verändert hatte – meiner Ansicht nach ist er sich selbst gegenüber weniger aufrichtig. Eines aber traf immer noch zu: so wie damals sprang Henry auch sieben Jahre später gern als Retter ein, wenn ein Mädchen in Not war. Er lag also mit seiner Voraussage falsch, dass sich diese Vorliebe mit der Zeit legen würde.
Und sicher hätte es Henry enttäuscht, wenn ich die Neuigkeit begrüßt hätte. Wir mussten uns doch an unsere |309| festgefügten Rollen halten: Er erzählt mir, was los ist, ich zicke herum, ich beruhige mich, dann spreche ich mit ihm durch, wie er seine Familie besänftigen kann, wir finden dafür eine Lösung, die seinem Selbstbild gerecht wird, dass er nämlich ein feiner, anständiger Kerl ist, dessen Leben goldrichtig verläuft. Wir kommen zu dem Schluss, dass er eine
faire
Entscheidung getroffen hat. Er wird auch nicht vergessen, beiläufig zu erwähnen, wie hinreißend er Suzy findet, so weiß ich, die beiden haben tollen Sex und muss ihn nicht bemitleiden, weil er allein aus Pflichtgefühl handelt.
Ich sagte bloß: »Viel Glück«, und er antwortete: »Das heißt ja nicht, dass wir uns nie wieder sehen werden.«
Ich weinte, sobald ich aufgelegt hatte. Ich saß zwar an meinem Schreibtisch, die Tür zu meinem Büro stand offen, aber das war mir egal. Ich weinte, weil Suzy ihn bekommen hatte, nicht ich, mehr noch als um Henry weinte ich aber, weil ich mich so grundlegend geirrt hatte, dieser Irrtum war nun eine erwiesene Tatsache. Meine Intuition, mein Bauchgefühl – wie immer man es nennen wollte – hatte mich getäuscht. Henry und ich waren nicht füreinander bestimmt. Wir sollten nicht bis ans Ende unserer Tage von orangeroten Tellern essen, niemals würde ich ihm über den Kopf streichen, wenn er auf meinem Schoß ruhte, nie würden wir zusammen ins Ausland fahren. Nichts von alledem. Es war vorbei. Vielleicht würde seine Beziehung mit Suzy auch scheitern, so dass er in wenigen Jahren zu mir zurückkehren könnte, oder in vielen Jahren, wenn ich achtundsechzig und er siebzig Jahre alt wäre, aber was hätte es dann für einen Sinn? Ich wollte ihn, solange wir noch die Menschen waren, die wir zurzeit sind. Außerdem hatte er in meinen Augen unser stillschweigendes Abkommen verletzt.
Ich beschloss, nach Albuquerque zu ziehen, weil ich |310| dort niemanden kannte, weil es weit weg ist von Chicago und Boston und Philadelphia und weil ich dachte, wenn schon die Landschaft so anders ist, trocken und bergig und von fremdartigen Pflanzen bewachsen, dann könnte ich dort vielleicht auch eine andere sein.
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