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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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Samstagnachmittagen in gehobenen |315| Warenhäusern Nackenrollen kaufen oder spezielle Porzellanplatten, um gefüllte Eier anzurichten.
    Wenn ich an manchen Nachmittagen auf die Toilette gehe und mir danach die Hände wasche, blickt mir im Spiegel eine Person entgegen, die ich zwar kennen müsste, aber nicht auf Anhieb benennen kann. Auch das habe ich den Jungen zu verdanken: weil sie meine ganze Aufmerksamkeit beanspruchen, weil sie mich mit Haut und Haaren auffressen und mich dazu bringen, mich selbst zu vergessen. Oder falls mir beim Händewaschen auffällt, dass mir ein Speiserest zwischen den Zähnen steckengeblieben ist, kann ich davon ausgehen, er steckt schon seit Stunden dort fest; in dieser Zeit habe ich mit anderen Lehrerinnen gesprochen, auch mit Lehrern. Ich würde nicht sagen, dass es mir gar nichts ausmacht, aber eben auch nicht viel. In meinem früheren Leben, ob nun in Chicago oder in Boston, wäre es mir entsetzlich peinlich gewesen, in einem solchen Zustand mit anderen gesprochen zu haben. Es wäre mir allerdings auch unter keinen Umständen passiert, weil ich damals enormen Wert auf diese Dinge legte.
    Hier draußen vermisse ich manchmal meine Familie, aber es scheint allen gutzugehen. Allison ist wieder schwanger, und Fig erwartet auch ein Kind – die Welt scheint zurzeit besonders fruchtbar zu sein. Stolz erzählt sie jedem, der es hören will oder auch nicht, dass der IQ des anonymen Samenspenders, den Zoe und sie ausgewählt haben, 143 beträgt. Im Winter haben mich Darrach, Elizabeth und Rory besucht, und wir haben uns wie echte Touristen benommen – alle drei mussten in der Altstadt Türkishalsketten kaufen. Elizabeth sagte ständig: »Dass du hier lebst, ist so verdammt cool. Mein Leben lang wollte ich schon nach New Mexico fahren.« Ich bin nicht sicher, ob Sie sich noch an meine Freundin Jenny von der Tufts University erinnern, aber sie lebt in Denver, nur einen kurzen Flug entfernt, |316| und so schmieden wir immerzu Pläne für ein Wiedersehen. Sie lässt sich jetzt zur Krankenschwester ausbilden. (Hoffentlich befürchten Sie nicht, dass ich Ihnen eine übertriebene Anteilnahme an meinem Leben zumuten will, wenn ich Sie auch über die Lebensumstände von Dritten informiere, jetzt, wo ich dafür keine hundertfünf Dollar die Stunde mehr entrichte. Und glauben Sie bitte nicht, dass ich diesen Betrag nachträglich bemäkele, ich weiß ja, dass andere Patienten bis zu siebzig Dollar mehr zahlen mussten. Vermutlich habe ich Ihnen auch aus diesem Grund nicht früher geschrieben: Als Sie mich baten, Sie auf dem Laufenden zu halten, wusste ich nicht, ob ich es nur einmal tun sollte oder in regelmäßigen Abständen.)
    Doch zurück zu Henry: Die einfachste Erklärung wäre vermutlich, dass er mich nicht attraktiv genug fand. Es schmeichelte ihm aber, dass ich mich so zu ihm hingezogen fühlte, und die Freundschaft mit mir hat ihm wirklich etwas bedeutet. Was hatte er schon zu verlieren, wenn er mich in seiner Nähe behielt? Ich nehme es ihm nicht übel, dass er mich nach Chicago gelockt hat, denn im Grunde war ich dazu sehr schnell bereit – aus dem Gespräch an Figs Hochzeitsabend hörte ich heraus, was ich hören wollte. Vielleicht fand er mich auch attraktiv genug, wollte aber nicht mit der Frau zusammen sein, der er ohnehin alles erzählte. Das kann ich verstehen, dass man das ein wenig auseinanderhalten möchte. Ich verstehe auch, dass ich durch seine Weigerung immerhin in den Genuss der Gewissheit kam, während ich mich ihm ja nie verweigert hatte und ihn so im Ungewissen beließ. Und dann denke ich wieder, dass nichts von alldem zutrifft. Es lag an mir – immer war ich diejenige, die sich widersetzte. Ich wollte das Glück für eine besondere Gelegenheit aufheben, wie eine Flasche Champagner. Ich schob es immer wieder auf, |317| weil ich Angst hatte, weil ich es überbewertete und weil ich es nicht aufbrauchen wollte, denn wonach hätte ich mich dann sehnen können? Die Vorstellung, dass ich die Erfüllung meines Wunsches fürchtete, ist für mich am schwersten zu ertragen, darum scheint sie der Wahrheit auch am nächsten zu kommen. Es gab drei oder vier Gelegenheiten, an denen Henry mich wohl geküsst hätte, doch immer drehte ich mich weg. Manchmal nur wenige Zentimeter, oder nur die Augen. Es geschah nie mit Absicht. Immer hatte ich es getan, ehe ich darüber befinden konnte. An einem dieser Abende, als wir fernsahen und sein Kopf auf meinem Schoß lag, blickte er zu mir auf, er

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