Also lieb ich ihn - Roman
unangenehm zu werden drohte, sagte er scheinbar gekränkt: »Willst du gar nicht mehr mit mir befreundet sein, wenn ich nicht dein Liebhaber bin?« Und ich entgegnete: »Aber natürlich will ich mit dir befreundet sein!« Es machte mir nichts aus, bei ihm zu sein, wenn er seine Gefühle durchnudelte, im lauwarmen Wasser seiner Unentschiedenheit badete, es machte mir nichts aus, ihm |303| Mitgefühl und Sympathie und wertfreie Betrachtung und grenzenlose Aufnahmebereitschaft zu signalisieren. Aber es hätte mir viel ausgemacht, mich als jämmerliche Gestalt zu erkennen zu geben, die ihm die Freundschaft verweigerte, weil sie von ihm nicht die ersehnte Liebe bekam.
Hin und wieder sagte Henry Dinge wie: »Ich liebe unsere Freundschaft.« Oder »Ich liebe es, mit dir unterwegs zu sein.« Oder diesen Satz, der dem Ersehnten am nächsten kam: »Ich liebe es, dass du ein Teil meines Lebens bist.«
Es gab auch Abende, an denen ich auf dem Sofa saß und er mit dem Kopf auf meinem Schoß dalag, so sahen wir gemeinsam fern. Meist legte ich die Hand auf seine Schulter, aber nur so leicht, dass sie als Ruhepol diente; ich fuhr ihm nicht durchs Haar. In diesen Momenten war ich so glücklich wie noch nie. So glücklich, dass ich kaum zu atmen wagte. Darüber verloren wir nie ein Wort, und jedes Gespräch, das wir davor, währenddessen oder danach führten, war ganz zwanglos. Wir verloren auch dann kein Wort, als er diese Art des Zusammenseins beendete, nachdem er und Dana gemeinsam einer Hochzeit beigewohnt hatten – ich weiß nicht genau, ob das eine mit dem anderen zusammenhing, wahrscheinlich schon. Als wir danach beide auf dem Sofa saßen, vermisste ich seinen Kopf auf meinem Schoß so sehr, dass dieses Gefühl des Vermissens alles andere ausblendete, das Fernsehen oder die Wohnung, ja selbst ganz Chicago.
Und was war eigentlich mit Dana? Sie arbeitete in dieser Kanzlei in der Innenstadt, danach trainierte sie am Rudergerät ihres Fitnessclubs an der Clark Street, und an den Freitag- und Samstagabenden trank sie Gin und Tonic in geselligen Runden, zu denen Henry mich nie einlud, in angesagten Bars, die ich noch nie betreten hatte. In Henrys Badezimmer sah ich im Abfalleimer einmal eine Tamponhülle |304| und hätte fast geweint. Ein paarmal sagte er: »Dana scheint dich als Bedrohung zu empfinden. Sie wird aus dir einfach nicht schlau.« Hatte es mir damals nicht sogar gefallen, dass sie sich von mir bedroht fühlte, Dana mit den breiten Schultern, Dana, die Gintrinkerin? Hatte ich meine Traurigkeit nicht genüsslich ausgekostet? Wenn ich am Wochenende abends gegen halb acht zum Supermarkt ging und zum DVD-Verleih, in Cordhosen und mit Sweatshirt, während ringsum schwarz gekleidete Paare Händchen hielten und Taxis bestiegen, war ich dann nicht zutiefst ergriffen von meiner Einsamkeit, davon, wie sehr ich Henrys Liebe würdig war, und beflügelte mich da nicht die Aussicht, dass es erst recht wundervoll werden würde, wenn diese Qualen ausgestanden waren?
Andererseits hatte ich das Gefühl, eine komplette Idiotin zu sein: Wenn ein Mann mit mir zusammen sein wollte, würde er selbstverständlich versuchen, mich zu küssen. Und wenn er keinen Versuch unternahm, war das Ganze gestorben, aus und vorbei. Natürlich gibt es auch Fälle, wo jemand erst nach langer Zeit die Gefühle des anderen erwidert – damals habe ich solche Geschichten gesammelt –, aber die haben Seltenheitswert. Wieder hatte mich keiner gewarnt. Zwar wusste ich, dass es nicht ratsam war, mit Henry so viel Zeit zu verbringen, aber das war mir egal. Ich wollte zu ihm einfach keinen Abstand gewinnen, um mich dann zu berappeln und eines Tages irgendeinen netten Kerl in der Chicagoer Hochbahn kennenzulernen, einen, der mich endlich so zu schätzen wüsste, wie ich es verdiente. Ich wollte Henry.
Unsere Hochzeit stellte ich mir keineswegs als triumphalen Höhepunkt vor, sondern eher als beiläufiges Ereignis, sie würde einfach aus der Tatsache resultieren, dass er und ich so gern zusammen waren und uns nicht vorstellen konnten, dass es jemals anders werden sollte. Meine Gewissheit |305| nahm eine geradezu gegenständliche Form an – wie ein Telefon oder ein Laufschuh, nichts Teures oder Glitzerndes, ein Gegenstand, der auch dann vorhanden bleibt, wenn man den Raum verlassen hat, in dem er sich befindet. Zu seinem neunundzwanzigsten Geburtstag schenkte ich ihm ein Dutzend orangerote Tafelteller, die mich mehr als zweihundert Dollar kosteten, und so
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