Also lieb ich ihn - Roman
war, ist soviel Zeit verstrichen, dass es vermutlich schon fast drei war, als sie das Gespräch begannen. Wenn Rory etwas zustoßen sollte, wäre Selbstmord ihr einziger Ausweg. Unvorstellbar, dass sie Elizabeths Familie auf diese Weise zerstört. Bisher hat sie immer nur beobachtet, wie eine Familie zerstört wird, ohne zu begreifen, dass auch sie dazu imstande wäre.
Rory steht nicht an der Bushaltestelle. Er steht einen knappen Block weiter vor dem Haus, mitten im Vorgarten, und lässt den Blick schweifen. Sein Rucksack ist breiter als er. Es ist erst einige Abende her, dass Elizabeth ihm auf seinen Wunsch hin einen Flicken in Eulengestalt auf die Außentasche genäht hat.
»Es tut mir leid«, sagt Hannah. Sie ist außer Atem. »Rory, ich bin ja so froh, dich zu sehen.«
»Du solltest mich vom Bus abholen.«
»Ich weiß. Darum habe ich mich auch entschuldigt. Ich war einfach spät dran, aber jetzt bin ich hier.«
»Ich mag dich nicht«, sagt Rory, was Hannah zunächst verblüfft und dann verletzt. Es ist sein gutes Recht. Warum sollte er sie auch mögen?
Sie öffnet die Haustür, dann gehen sie beide hinein. »Sollen wir uns bei Sackey’s ein Eis holen?«, fragt Hannah. »Hast du Lust?«
»Eis gibt’s auch hier«, sagt Rory.
»Ich dachte nur, vielleicht magst du eine andere Sorte.«
»Ich mag Moms Eis.«
Sie füllt erst für ihn eine Schale mit Schokoladeneis, dann für sich, auch wenn er seins vor dem Fernseher isst und sie in der Küche bleibt. Sie ist völlig verstört, es gelingt ihr nicht, sich zu beruhigen, im Gegenteil. Ihretwegen |41| hätte es zum Schlimmsten kommen können. Und wie hätte sich der Typ weiter verhalten, wenn sie sich nicht um Rory hätte kümmern müssen? Vielleicht wäre daraus ja etwas Schönes entstanden, vielleicht hätte ihr Leben endlich begonnen. Doch wie egoistisch ihr diese Gedanken erscheinen. Elizabeth und Darrach haben Hannah bei sich aufgenommen, und zum Dank vernachlässigt Hannah ihren Sohn. Sie muss unbedingt aktiv werden, denkt Hannah, sie muss Maßnahmen ergreifen, um ihre Persönlichkeit von Grund auf neu zu definieren. Sie weiß zwar nicht, welche Maßnahmen, aber bestimmt gibt es davon eine ganze Reihe.
Ständig läuft sie ins Wohnzimmer, bildet sich ein, Elizabeths Auto zu hören, doch ein Blick aus dem Fenster zeigt, dass es ein imaginärer Motor war. Irgendwann fährt Elizabeth tatsächlich vor. Hannah wartet nicht einmal, bis sie zur Tür hereinkommt. Sie rennt hinaus, während Elizabeth noch die Lebensmittel aus dem Kofferraum lädt. Elizabeth blickt auf und sagt: »Hey, Hannah, willst du mit anpacken?« Aber Hannah fängt an zu weinen; Tränen laufen ihr über die Wangen. »O nein«, sagt Elizabeth. »Es tut mir so leid. Ich hab’s im Fernsehen gesehen, im Krankenhaus, aber ich wusste nicht, ob du es auch schon gehört hast. Arme Julia Roberts, hm?«
Immer noch schluchzend, fragt Hannah: »Was hast du gesehen?«
»Es war bloß so ein Infoschnipsel auf irgendeinem Sender. Wenn er sie wirklich betrogen hat, soll sie ihm ruhig den Laufpass geben, finde ich.«
»Kiefer hat sie
betrogen
?« Hannahs Tränenfluss verwandelt sich in einen reißenden Strom; sie kann nichts mehr erkennen; sie kann kaum atmen.
»Ach Schätzchen, mehr weiß ich auch nicht.« Elizabeth legt den Arm um Hannahs Schultern. Sie führt ihre |42| Nichte zu den Stufen, damit sie sich setzen können. »Vermutlich weiß kein Mensch, was wirklich vorgefallen ist, von den beiden abgesehen.«
Als Hannah wieder sprechen kann, sagt sie: »Aber warum sollte Kiefer Julia betrügen?«
»Na ja, vielleicht stimmt es auch gar nicht. Wir dürfen allerdings nicht vergessen, dass Stars ganz normale Menschen sind und auch ihre Probleme haben. Sie leben in der gleichen Welt wie wir.«
»Aber sie waren ein tolles Paar«, sagt Hannah, und aufs Neue fließen die Tränen. »Das habe ich gleich gesehen.«
Elizabeth drückt Hannah noch fester an sich, Hannahs Nase stößt gegen Elizabeths Brüste. »Bei denen ist es auch nicht anders als bei allen anderen Menschen«, sagt ihre Tante. »Julia Roberts geht ins Bett, ohne sich die Zähne zu putzen. Bestimmt nicht jede Nacht, aber manchmal. Wahrscheinlich popelt sie in der Nase. Das tun alle Stars – sie haben Kummer, sind eifersüchtig, streiten sich. Und eine Ehe ist kein Zuckerschlecken, Hannah. Ich weiß, man stellt sich gläserne Pantoffel und süße Hochzeitstorte vor, dabei gibt es im Leben keine härtere Prüfung als die Ehe.«
Hannah hebt jäh
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