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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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sehr ausgefallenen Kleidungsstil, der als punkig durchgehen könnte oder als schwul: weite Denimshorts in Rot, Blau oder Olivgrün, die viel länger sind als normale Shorts und ein |79| gutes Stück über die Knie reichen; weiße Strümpfe, die er sich die dünnen Waden hochzieht; Wildledersneakers; und Nylon-Trainingsjacken mit Reißverschluss und weißen Längsstreifen an den Ärmeln. Wenn man den Seminarraum hinter ihm verlässt, sieht man eine silberne Kette aus seiner Potasche ragen, die offenbar in eine Vordertasche mündet; was diese Kette so auffällig verbindet, bleibt Hannah schleierhaft (Portemonnaie?), und womit, ebenfalls (Schlüssel? Taschenuhr?). Seine Haare sind schwarz gefärbt, und sie sieht ihn mit einem Skateboard über den Campus fahren, zusammen mit anderen Jungs, die sich so ähnlich kleiden, und einem Mädchen mit einem Piercing an der rechten Augenbraue.
    Hannahs Beweggrund, Jared den Hustensaft zu geben, war logischerweise ein heftiger Husten, den er über Wochen nicht loswurde. Eines Tages, als sie wieder einmal neben ihm saß, erinnerte sie sich plötzlich an die Flasche, die sie in einer Schachtel im Wohnheimschrank vergessen hatte, ein Überbleibsel aus der Zeit, als sie den Saft zum Einschlafen benutzte. (Damit hatte sie vor einem Jahr aufgehört, als sie sich mit Jenny anfreundete und bald darauf ihre Therapeutin fand.) Der Verschluss war noch mit Klarsichtfolie versiegelt; der Saft war mit Kirscharoma. Als Hannah die Flasche vor der nächsten Soziologie-Stunde in ihren Rucksack verstaute, sah sie, dass die Haltbarkeitszeit überschritten war, aber das schien ihr nicht weiter tragisch. Es war ja keine Milch. Sie gab ihm die Flasche, während sie den Seminarraum verließen – als sie wenige Schritte hinter ihm »Jared« rief, nannte sie ihn zum ersten Mal überhaupt beim Namen, und er wirkte zunächst leicht verdutzt und dann leicht erfreut, nachdem sie ihm erklärt hatte, worum es ging. Er bedankte sich, drehte sich um und ging weiter. Damit ergab sich keine Gelegenheit, gemeinsam zu gehen, auch nicht die wenigen Schritte bis |80| zum Ausgang des Gebäudes. In der folgenden Stunde, die heute stattgefunden hatte, sprach er sie nicht an, es kam nicht einmal zu einem Blickkontakt; Hannas Erinnerung nach war das bisher nie der Fall gewesen. Während Minute um Minute verstrich, fühlte Hannah Enttäuschung in sich aufsteigen, vielmehr aufwallen, wie Übelkeit. Warum hatte sie auch so aus der Rolle fallen müssen? Warum musste sie diesem Halbpunk, mit dem sie noch nie ein Wort gewechselt hatte, Hustensaft geben, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen war? Hielt sie das vielleicht für einen gelungenen Flirtversuch? Und was, wenn Haltbarkeit bei Hustensaft doch von Belang ist und ekliger Kirschschimmel in der Flüssigkeit schwamm, als er die Flasche öffnete?
Falls
er die Flasche überhaupt geöffnet hat, vermutlich hat er es nicht getan, und sein Husten kommt bloß vom Genuss einer neuen Modedroge, die Hannah nicht einmal vom Hörensagen kennt.
    Dr. Lewin hörte sich das alles wie stets ungerührt an. Ihr ging es weniger darum, ob Jared Hannahs Verhalten merkwürdig fand, als vielmehr um Hannahs Selbsteinschätzung: Warum hatte sie wohl das Bedürfnis gehabt, ihm den Hustensaft zu geben, warum sollte Jared es nicht einfach als freundliche Geste gewertet haben, aus welchen Gründen – den Hustensaft einmal ausgenommen – könnte heute jeglicher Blickkontakt im Seminar ausgeblieben sein?
    »Ich soll Ihnen dafür Gründe nennen?«, hatte Hannah gefragt.
    Dr. Lewin nickte. (
O Dr. Lewin
, denkt Hannah manchmal,
mögen Sie wirklich so anständig und ausgeglichen sein, wie es den Anschein hat. Möge Ihnen das Leben, das Sie sich eingerichtet haben, tatsächlich Erfüllung schenken und Sie vor sämtlichen Ärgernissen und Problemen bewahren, die alle anderen Menschen plagen.
)
    |81| »Was weiß ich – vielleicht war er müde, weil er die ganze Nacht an einer Seminararbeit gesessen hat«, sagte Hannah. »Oder er hat sich mit seinem Zimmergenossen gestritten.«
    Beides sei schlüssig, sagte Dr. Lewin. Und sie verstehe nicht, warum Hannah Jared kommenden Montag unbedingt eröffnen müsse, dass das Haltbarkeitsdatum des Hustensafts abgelaufen sei, wenn er es selbst nicht bemerkt haben sollte. Sie war nicht der Ansicht, dass es die Gesundheit ernsthaft gefährde, und sie ist immerhin Ärztin.
    Hannah war bei Dr. Lewin gelandet, weil sie bei der Medizinischen Beratungsstelle für Tufts-Studierende

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