Also lieb ich ihn - Roman
hochattraktiven Fremden zu teilen; mit der eigenen Schwester hingegen ist das eine leichte Übung. Da braucht man sich keinen Zwang anzutun.
»Hört mal, ihr beiden …«, beginnt Allison, doch da wird sie von Sam unterbrochen: »Du schläfst ja sowieso, was spielt es dann für eine Rolle? Ich weiß ja nicht, wie du drauf bist, aber ich bin völlig alle.«
Du Arschloch
, denkt Hannah.
Elliot tritt aus dem Badezimmer, und Hannah ist es zu peinlich, die Diskussion in seinem Beisein fortzusetzen. Dafür sagt Sam: »Elliot, Hannah will ihr Bett nicht mit dir teilen. Ich hab ihr zwar gesagt, dass du vom Vorwurf der sexuellen Belästigung freigesprochen wurdest, aber sie glaubt mir nicht.«
Elliot grinst. »Und die Frau war nicht einmal echt. Sondern eine echte Transe.«
Allison sagt: »Hannah, was hältst du davon, dass du und |141| Elliot euch heute Nacht das Bett teilt, und das Zelt, wenn wir in freier Natur sind, dafür teilen wir uns das Kajak?«
Typisch Allison: immer
kompromissbereit
.
»Wenn du von deiner Schwester was haben willst, dann doch lieber wach als im Schlaf«, sagt Elliot. Seine Stimme klingt ungehalten und zugleich ist das, was er sagt, von bezwingender Logik; als sich daraufhin Schweigen einstellt, wird Hannah bewusst, dass sie über die unangenehme Macht verfügt, allen die Ferien zu verderben, einfach, indem sie so ist, wie sie ist.
»Einverstanden«, sagt sie. »Allison und ich teilen uns das Kajak.«
Kaum haben sie das Licht ausgemacht, wird es still. Hannah fällt auf, dass sich ihr Kissen anfühlt wie Schaumstoff; dann fällt ihr auf, wie stickig die Luft im Zimmer ist. Ein Weilchen starrt sie Elliots von einem grauen T-Shirt bedeckten Rücken an und fragt sich, ob er eine Freundin hat, und falls ja, wie sie wohl aussieht. Eine Stunde verstreicht. Hannah verliert allmählich die Fassung. Sie tastet sich durch das dunkle Zimmer zum Bad. Als sie auf dem Klo sitzt, kommt bloß ein Esslöffel leuchtend gelber Pisse raus. Sie legt sich wieder ins Bett.
Um Mitternacht – vier Uhr morgens nach Hannahs Zeit, eine Stunde fünfundvierzig Minuten, nachdem sie das Licht ausgemacht haben, zwanzig Stunden, seit sie in Boston abgeflogen ist – überlegt sie, ob sie Allison wach stupsen soll, aber dann würden Sam und Elliot vielleicht ebenfalls aufwachen. Sie überlegt auch, ob sie sich nicht hinausstehlen, ein Taxi zum Flughafen nehmen und heimfliegen soll, aber das würde unverhältnismäßig viel Wirbel auslösen.
Es ist 00.25 Uhr. Hannah hat sich inzwischen so oft hin und her gewälzt, dass sich auf ihrer Seite das Spannbetttuch von der Matratze gelöst und um ihre Waden |142| gewickelt hat.
Schließ einfach die Augen; öffne sie ja nicht, egal was passiert
, sagt sie sich. Das hält sie genau vier Minuten durch, wie sie mit einem Blick auf den digitalen Wecker feststellt.
Egal, versuch’s noch mal.
Irgendwo da draußen ist ein seltsames Klagen zu vernehmen, schwer zu sagen, wie weit entfernt. Hannah kann nicht erkennen, ob es sich um einen tierischen oder menschlichen Laut handelt. Lauschend liegt sie da, voller Anspannung, und fragt sich, ob sie etwas unternehmen sollte, und falls ja, was. Darüber schläft sie ein.
Morgens nutzt Hannah ihre letzte Duschgelegenheit für die kommenden fünf Tage. Danach gehen sie zu einem Sportartikelgeschäft, weil Sam noch Wollstrümpfe braucht. Der Laden erstreckt sich über zwei Stockwerke und ist zum Bersten gefüllt mit Kanus und Zelten und Schlafsäcken und strahlenden, topfitten Verkäufern; in ihren Khaki-Shorts und Bergstiefeln beeindrucken sie Hannah mit einer scheinbar mühelosen Professionalität, die sie selbst wohl niemals erlangen wird. Bereits hier wird ihr klar, dass sie gar nicht der Typ Mensch ist, der in Alaska zelten geht, und auch wenn sie in Alaska zelten geht und damit anderen erzählen kann, sie sei in Alaska zelten gegangen, wird sie diesem Menschenschlag trotzdem nie angehören.
Allison und Sam haben diese Reise vor Monaten geplant. Im Juni riefen sie Hannah an, um sie einzuladen; Allison sagte, dass sie auch Elliot einladen wollten, so dass Hannah nicht befürchten müsse, das fünfte Rad am Wagen zu sein. Sie ist sich ziemlich sicher, dass Allison sie nur wegen der Auseinandersetzung mit ihrem Vater eingeladen hat – wahrscheinlich hat ihre Schwester sich gedacht, sie könne Hannah bei dieser Gelegenheit zur Einsicht bringen. Als sie mit der Begründung ablehnte, dass die |143| Reise für sie zu teuer sei, erwiderte
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