Also lieb ich ihn - Roman
ist mit einem wellenartig geschwungenen Silberring geschmückt. Dieser Ring ist Hannah schon ins Auge gefallen, ohne dass sie seinen symbolischen Gehalt erraten hätte. »Es wär mir ja schon am Telefon fast rausgerutscht, aber dann dachte ich, es ist netter, wenn ich es dir bei unserem Wiedersehen erzähle«, erklärt Allison.
»Weiß Mom Bescheid?«
»Sie und Dad wissen beide Bescheid. Freust du dich nicht für mich? Wenigstens ein bisschen? Vielleicht hast du sogar Lust, mir zu gratulieren.« Allison lacht verlegen. »Ich dachte, du magst Sam.«
»Es ist nicht so, dass ich ihn
nicht
mag. Mir war bloß nicht klar, wie ernst es euch ist.«
»Hannah, wir sind vor einem Jahr zusammengezogen.«
»Na und? Du bist erst vierundzwanzig – das ist ziemlich jung. Sam ist in Ordnung, keine Frage. Ich meine, Glückwunsch, |136| klar. Ich sehe nur nicht, was an ihm so Besonderes sein soll.«
»Meine Güte, Hannah!«
»Tut mir leid. War das jetzt unhöflich? Ich wollte nur ehrlich sein. Hätte ich das nicht sagen dürfen?«
»Genau«, sagt Allison, »du hättest das nicht sagen dürfen.«
Aber Hannah hat nun einmal nicht damit gerechnet, dass ihre Schwester Sam heiraten will. Allison lehnt sonst immer ab, wenn ein Mann sie bittet, ihn zu heiraten. Kann sie sich auch leisten, denn es gibt genug andere Männer, die sich in sie verlieben werden. Sie hat große grüne Augen und langes, lockiges aschblondes Haar; vor Sam haben ihr schon zwei Typen einen Antrag gemacht. Einer, mit dem sie auf dem College zusammen war und den sie abgewiesen hatte, weil sie sich für einen solchen Bund noch nicht reif genug fühlte, wie sie Hannah erklärte, und ein anderer, der am Valentinstag in San Francisco vor einer Bar herumstand. Allison wartete draußen auf einen Freund, als sie sich umdrehte und diesen großen hageren schwarzhaarigen Kerl mit schwarzer Lederjacke und unzähligen Silberringen im Ohr sah, eigentlich gar nicht ihr Fall, aber kaum hatten Allison und er sich angesehen, pressten sie auch schon die Münder aufeinander, während er seine Hände in ihrem Haar versenkte. Allison schwanden buchstäblich die Sinne. Der Typ sagte: »Heirate mich, meine Schöne.« Diese Szene kann sich Hannah gut vorstellen, wie ihre Schwester mit großen Augen den Typen anstaunt; es gibt Frauen, die sagen nein, noch bevor der Mann zu sprechen anfängt, aber das würde Allison niemals tun, selbst wenn es sich um einen Penner, einen Ex-Freund oder einen notgeilen Barbesucher handelt. In diesem Moment tauchte Allisons Bekannter auf und zog sie weg, ohne dass sie sich dagegen gewehrt hätte. Den schwarzhaarigen Typen verlor |137| sie für immer aus den Augen. Später erklärte Allison, sie habe nur geschwiegen, weil sie ihm sonst womöglich ihr Jawort gegeben hätte.
Im Badezimmer des Holiday Inn sagt Hannah: »Sei mir nicht böse. Allmählich gewöhne ich mich an den Gedanken. Hier …« Sie streckt die Arme aus, und Allison lässt sich, mit spürbar geringerem Groll, auf die Umarmung ein.
Als sie das Bad verlassen, liegt Sam im Bett und studiert auf einer Karte die Bucht vom Prince William Sound, während sein Bruder Elliot in seinem Rucksack stöbert, der an die Wand gelehnt ist. »Wie ich höre, darf man dir gratulieren«, sagt Hannah und beugt sich vor, um Sam zu umarmen. Dabei fühlt sie sich wie ein großer, schwerfälliger Vogel. Das ist heute schon das zweite Mal, dass sie Sam unbeholfen in den Arm nimmt; davor war es am Flughafen.
Hannah kam als erste in Anchorage an, ohne recht zu wissen, was sie mit sich anstellen sollte, also kaufte sie sich ein Putensandwich, vollgestopft mit feuchtem, blassem Fleisch, das sie zum großen Teil herauszupfte und in den Plastikbehälter legte, während sie den Salat und das Brot aß; den Rest warf sie weg. Sie schlenderte zum Grizzlybären: ein echter Grizzly, wenn auch tot, über zwei Meter siebzig groß, mit dunkelbraunem, silbrig überhauchtem Fell, der hinter der Glasscheibe beim Knurren erstarrt zu sein schien. Laut Infotafel brachte es ein erwachsener Grizzlybär auf ein Gewicht von über vierhundert Kilo; Aas roch er selbst in dreißig Kilometer Entfernung.
Ich bin in Alaska
, sagte sich Hannah.
Alaska, Alaska!
Flüchtig verspürte sie den Wunsch, wieder in Boston zu sein, im Zimmer, das sie zur Untermiete bewohnte, und sich gemeinsam mit Jenny Krimiserien anzusehen und am Abend Rührei zu essen. Sie betrat einen Souvenirladen, musterte |138| die Schlüsselanhänger und Magnetfiguren und
Weitere Kostenlose Bücher