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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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einschätzen – spaltet ein Blitz den Himmel. |166| Hannah ist nicht klar, ob Allison es überhaupt bemerkt. »Ich weiß, das klingt kitschig«, sagt Allison, »aber Sam kümmert sich um mich. Natürlich sehe ich auch seine Fehler. Trotzdem liebe ich ihn.«
    Es gießt in Strömen; die Tropfen prallen an Hannahs Jacke ab, prasseln ihr auf Gesicht und Haare. »Meine Brille beschlägt«, sagt sie. »Ich seh fast nichts.«
    »Setz sie ab. Wenn du ohnehin nichts siehst, macht es keinen Unterschied.«
    Als Hannah die Brille in der Hand hält, weiß sie nicht, wohin damit. Sie hat Angst, dass die Gläser bei der Kajaklandung zerbrechen, wenn sie die Brille in eine Tasche ihrer Regenjacke steckt, und so schiebt sie sich die Brille in den Hemdkragen. Im Regen verschwimmt alles zu einer grauen, unförmigen Masse.
    »Siehst du die Jungs?«, fragt Allison. »Sie steuern rechts von uns auf den Strand zu. Paddel einfach weiter, ich lenke.«
    Hannah klappert mit den Zähnen, ihre Hände sind eiskalt und glitschig vom Wasser. Der Regen hat beinah feste Konsistenz, wie Schiefer. Sie dreht sich halb um und sagt: »Ich halte Sam wirklich nicht für ein Arschloch. Ich hoffe, das ist dir klar.« (Als ob Arschloch das Schlimmste wäre, was Hannah von sich gegeben hat. Im Grunde müsste sie sich für
Ich sehe nur nicht, was an ihm so Besonderes sein soll
entschuldigen. Aber dieser Satz kam aus tiefstem Herzen, er lässt sich nicht einfach ausradieren; sie sollte lieber nach vorn schauen.) »Und ich weiß, dass ich Dad in manchen Dingen sehr ähnlich bin. Kein Wunder, würde ich sagen. Es steckt nun mal in den Genen. Merkwürdig ist doch eher, dass du ihm so gar nicht ähnelst, oder?«
    »Du achtest zu sehr auf das, was dich unglücklich macht«, sagt Allison.
    Da hat sie sicher recht. Das ist bei Hannah nun mal ein |167| natürlicher Reflex – sich auf das zu konzentrieren, was sie unglücklich macht. Es gehört untrennbar zu ihrem Wesen dazu, ja, es macht einen nicht unbedeutenden Teil ihres Wesens aus. Die wenig schmeichelhaften Bemerkungen, die sie über andere fallen lässt, die Äußerungen, die sie in Teufels Küche bringen – sind die nicht viel wahrhaftiger als Small Talk und Dankesbriefchen? Nicht so nett, aber aufrichtiger. Sobald man am Lack kratzt, wird man vermutlich feststellen, dass fast alle kleinlich und frustriert sind. Oder trifft das nur auf eine bestimmte Gruppe von Menschen zu, so dass Hannah sogar aus dieser Gruppe austreten könnte, wenn sie wollte? Könnte sie austreten, ohne sich deswegen gleich selbst aufzugeben – wie ihre Mutter es getan hat?
    Sie paddeln weiter durch den Regen, und als sie endlich die Insel erreichen, waten die Brüder, die längst angekommen sind, ins Wasser, um ihnen bei der Landung zu helfen. »Ich stell eine Plane auf«, sagt Sam. Nachdem sie auch den zweiten Kajak gesichert haben, rollt Elliot eine weitere Plane aus. Sie legen sich drauf, alle vier auf dem Rücken ausgestreckt.
    »Habt ihr auch diese Schrumpelfinger?«, fragt Allison.
    »Bei mir schrumpeln noch ganz andere Dinge«, antwortet Sam.
    So erschöpft, zerschlagen und verfroren Hannah auf der Plane daliegt, muss sie doch lächeln. Immerhin lauert sie nicht mehr auf den Bären, und morgen fahren sie alle nach Hause. Sie streicht sich einen nassen Wust von Haaren aus der Stirn, bevor sie sich jäh aufsetzt. »Ich weiß nicht, wo meine Brille abgeblieben ist«, sagt sie.
    »Wo hast du sie zuletzt gesehen?«, fragt Sam. Allison erklärt ihm, dass Hannah ihre Brille abgesetzt hat, als es zu regnen anfing.
    »Verdammt«, sagt Hannah. Sie steht auf, klopft sich |168| Brust und Bauch ab. »Wahrscheinlich ist sie runtergefallen, als wir den Kajak an Land gezogen haben.«
    Sie duckt sich unter der Plane hindurch in den Regen zurück und rennt zum Wasser. Sie späht dorthin, wo die Wellen an Land brechen. Mit der Spitze ihrer Gummistiefel tastet sie im schwarzen Sand und zwischen den Kieseln herum, aber davon wird das Wasser nur schlammiger. Sie watet weiter hinein, hält erst inne, als die Wellen fast an ihre Knie kommen und ihr in die Stiefel zu schwappen drohen.
    »Hannah, warte. Hannah!« Allison hat sich unter der Plane hervorgewagt. »Ich helf dir«, sagt sie.
    Und so suchen sie beide, mit hängenden Schultern und gesenkten Köpfen spähen sie ins Wasser. Sie schreiten unterschiedliche Stellen ab, manchmal kreuzen sich ihre Wege, wenn sie dicht nebeneinander suchen, doch sie wechseln kein Wort. Der Regen klingt wie ein gewaltiges

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