Also lieb ich ihn - Roman
Flüstern.
Nach ungefähr zehn Minuten weiß Hannah, dass sie die Brille nicht finden werden. Trotzdem suchen sie weiter, oder zumindest waten sie weiter. Hin und wieder sieht sie zu Allison rüber, eine verschwommene Gestalt in einer grünen Regenjacke, das helle, lockige Haar jetzt glatt und dunkel an den Kopf geklatscht. Die Parole muss von Hannah ausgegeben werden; von sich aus wird Allison die Suche nie und nimmer abblasen. »Die Wellen haben sie bestimmt fortgespült«, sagt Hannah. »Das macht nichts. Besorg ich mir eben eine neue.«
»Es tut mir wahnsinnig leid«, sagt Allison.
»Meine Schuld, wenn ich sie nicht in die Jackentasche stecke.«
»Vielleicht können wir ja in Anchorage eine neue Brille für dich auftreiben.«
»Nein, es geht auch so. Ich komm schon klar.« Und das |169| wird sie. Flughäfen, Optiker – damit wird Hannah spielend fertig, selbst wenn ihre Sicht eingeschränkt ist.
Allison drückt Hannahs Arm. »Du sollst meine Brautjungfer sein«, sagt sie. »Ich will es unbedingt. Was ich letztens gesagt habe, war einfach lächerlich.«
Als sie wieder unter die Plane geschlüpft sind, wollen sie Kakao kochen. Sam kramt Hannahs Becher für sie hervor, dann spült er die Haferflockenreste vom Frühstück aus – er besteht darauf – und füllt ihn mit Kakaopulver und heißem Wasser aus dem Topf. »Ich bin kurzsichtig«, sagt Hannah. »Ich erkenne bloß dann nichts, wenn’s weiter weg ist.« Trotzdem möchte er den Becher wieder für sie auswaschen, nachdem sie ausgetrunken hat, und diesmal nimmt sie es bereitwilliger an. Als sie Sam den Becher reicht, berühren sich ihre Fingerspitzen.
Ich überlasse dir meine Schwester
, denkt Hannah,
weil ich keine Wahl habe. Aber du wirst uns niemals einholen; ich werde sie immer länger gekannt haben als du
.
Sollte er ihre Botschaft verstanden haben, lässt er es sich jedenfalls nicht anmerken.
In Ander geben sie die Kajaks zurück, die Schwimmwesten, Spritzdecken und Gummistiefel, sie fotografieren sich gegenseitig am Kai, mit den Bergen als Hintergrund, und übernachten diesmal in einem Bed-and-Breakfast – Davidas B&B –, das in dem ehemaligen Armeebunker untergebracht ist. Dort beziehen sie ein Apartment, das nach Zigarettenrauch stinkt; Davida, eine herzliche Fünfzigerin in künstlich ausgewaschenen Jeans, einem lavendelblauen Sweater voller Flusen und blauer Windjacke, führt sie höchstpersönlich zum Apartment, fährt mit ihnen im Lift hoch und versprüht dann munter Frischeduft aus der Dose, so viel, dass Hannah ihn schmecken kann wie säuerlichen Dunst. Als Davida weg ist, sagt Elliot: »Wer hätte gedacht, dass eines der beiden ›B‹s für |170| Bunker steht?«, was Hannah dazu bringt, besonders laut zu lachen. Seit Elliot sie gestern Nacht praktisch angemacht hatte, empfand sie für ihn zunächst eine Art großmütiges Mitleid, dann dachte sie, dass es zwischen ihnen tatsächlich knisterte, und jetzt hat sie das Gefühl, dass er sich wahrscheinlich nicht die Bohne für sie interessiert, während sie sich unzweifelhaft in ihn verknallt hat. In den letzten drei Stunden ist ihre Verknalltheit sprunghaft angestiegen.
Am nächsten Morgen steigen sie in den Zug nach Anchorage. Von dort aus fahren sie mit dem Taxi zum Flughafen; sie haben alle Nachtflüge gebucht. Hannah wird um halb sieben in der Früh in Boston landen. Auf der Flughafentoilette bemerkt Allison, dass sie ihre Tage, aber keinen Tampon dabei hat; Hannah besorgt ihr einen, steckt Münzen in den Wandautomaten und reicht ihr den Tampon unter die Kabinentür hindurch. »Bist du nicht froh, dass wir die Wildnis verlassen haben?«, fragt Allison. »Jeder Bär wäre mir doch in null Komma nichts auf die Spur gekommen.«
Dann befindet sich Hannah
tatsächlich
wieder in Tufts, das neue Studienjahr beginnt. Sie ist wieder allein und in Sicherheit, so wie sie immer allein und in Sicherheit ist. Nächstes Jahr im Mai werden Allison und Sam im Rahmen einer schlichten Zeremonie im Palast der Ehrenlegion in San Francisco heiraten. Auch wenn Hannah es sich schon Wochen im Voraus nicht verkneifen kann, über das Wiedersehen mit Elliot zu spekulieren, wird er sie bei der Hochzeit größtenteils übergehen. Seine Begleiterin wird eine gertenschlanke, strahlend blonde junge Frau sein, die nicht allein Hannah an Attraktivität weit übertrifft, sondern auch Allison. Offenbar wird es sich bei dieser Frau um eine Notärztin handeln.
Öfter, als sie sich wünscht, Allison niemals gesagt zu
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