Also lieb ich ihn - Roman
beim Kellner eine Frau bestellen kann; dann sucht der Kellner die attraktivste Frau im ganzen Club aus und bringt sie dem Gast, falls nötig, mit Gewalt. Laut Fig – der es völlig egal zu sein scheint, dass Henry mit anderen Frauen geradezu beworfen wird – heißt dieser Vorgang »Booking«.
»Er hört sich müde an«, sagt Fig. »Wenn er mich anruft, ist es bei ihm meist drei Uhr in der Früh, und er hockt immer noch im Büro. Willst du denn gar nicht wissen, wie das mit dem Meisterdiebstahl war?«
»Wie war’s?«
»Ich hab was gestohlen.«
»Gratuliere, Fig.«
»Sieh mal in meiner Tasche nach.«
Hannah hat sich auf ihren Schreibtischstuhl gesetzt und macht nicht die geringsten Anstalten, sich zu rühren.
»Komm schon«, sagt Fig. »Es beißt nicht. Es haut dich um.«
Hannah greift nach der Tasche. Sie enthält ein Bündel Ein-Dollar-Noten, dazu einen Führerschein, beides von einem Gummiring zusammengehalten, einen Lippenstift, eine Packung Zigaretten und einen kleinen Silberrahmen mit dem Schwarzweißfoto einer Frau, die eine Schürze und eine Schmetterlingsbrille trägt.
»Wer ist sie?«, fragt Hannah.
»Murrays Urgroßmutter.«
»Wer ist Murray?«
»Der Jurastudent. Bis vor einer halben Stunde saß ich in seiner Wohnung fest.«
|183| »Ich dachte, du magst keine Jurastudenten.«
»Jetzt erst recht nicht. Was für ein Langweiler. Aber er ist von mir besessen, da musste ich ihm ein bisschen entgegenkommen.«
»Weiß Henry davon?«
»Fragen sind nicht zugelassen, weißt du das nicht? Egal, nach dieser Nacht komme ich Murray kein bisschen mehr entgegen.«
»Meinst du, Henry hat sich drüben mit anderen Frauen eingelassen und erzählt es dir bloß nicht?«
»Tja …« Fig zieht diese Möglichkeit offenbar sehr gelassen in Betracht. »Ne«, sagt sie schließlich, was in Hannah eine Woge der Erleichterung aufbranden lässt. Die Vorstellung, Henry könnte sich in eine andere Frau verlieben und sowohl aus Figs als auch aus ihrem Leben verschwinden, ist das Unerträglichste überhaupt. Solange er Fig verbunden ist, bleibt Hannah wenigstens seine Spur erhalten.
»Ist das Bild nicht irre kitschig?«, fragt Fig. »Da konnte ich nicht widerstehen.«
Hannah sieht sich das gerahmte Foto noch einmal an. Die Frau hat ein strahlendes Lächeln, hinter der Brille sieht man um ihre Augen viele Fältchen. Auf dem Bild muss sie ungefähr sechzig sein. »Hast du kein schlechtes Gewissen?«
»Ganz schlechtes Gewissen. Ganz entsetzlich schlechtes Gewissen.«
»Solltest du auch.«
»Zur Sühne trage ich sogar ein härenes Gewand. Das siehst du jetzt nicht, weil ich unter der Decke liege, aber es juckt wie die Hölle.«
»Fig, es ist seine Großmutter.«
»Urgroßmutter.« Fig grinst. »Der Sex war so grauenhaft, dass ich eben einen anderen Weg finden musste, um bei Murray auf meine Kosten zu kommen.«
|184| »Grauenhaft? Echt?« Unvorstellbar, dass Fig keinen guten Sex hat.
»Bis ich kam, dauerte es mindestens eine Stunde. Apropos, ist deine biblische Dürreperiode endlich vorbei?«
»Ich mag jetzt wirklich nicht darüber sprechen«, antwortet Hannah. Die Ironie ist, dass Fig nichts von den tatsächlichen Ausmaßen ahnt, die diese Dürreperiode inzwischen angenommen hat – bevor Hannah in diesem Sommer auf Ted traf. Für Hannahs Leben hat sich Fig nie besonders interessiert. Und es scheint undenkbar, ihr ernsthaft von Mike zu erzählen, wenn überhaupt, ginge es nur als Witz.
»Du musst mehr aus dir herausgehen«, sagt Fig. »Gott hat dir diese Wahnsinnstitten doch nicht umsonst verpasst, Hannah.«
Hannah schließt die Augen. »Wolltest du nicht bald gehen?«
»Ich muss dir noch was erzählen«, erwidert Fig. »Ich glaube, ich habe meinen Traummann gefunden.«
»Fig, was soll das?«
»Ehrlich«, sagt Fig. »Das meine ich ernst.« Jetzt scheint sie tatsächlich verletzt zu sein, oder fast.
»Ich nehme an, dass es sich weder um Henry noch um Murray handelt?«, sagt Hannah.
»Er heißt Philip Lake. Ich habe ihn in diesem Sommer kennengelernt, auf der Hochzeit von Tracy Brewters Schwester – deswegen bin ich ja nach Hause gefahren, weißt du noch? Da warst du gerade in Alaska.«
Hannah nickt.
»Auf der Hochzeit habe ich kein einziges Wort mit ihm gewechselt, aber da ist er mir das erste Mal aufgefallen. Er trug einen Anzug aus Seersucker, was wirklich nicht jedem steht, und er wirkte total selbstbewusst. Ich habe ihn nicht angesprochen, weil seine Begleiterin wie eine Klette |185| an ihm hing. Nach
Weitere Kostenlose Bücher