Also lieb ich ihn - Roman
antwortete, er habe es zu Hause gemacht, mit Hilfe einer Freundin, war sie enttäuscht. Später wurde ihr klar, wie gern sie sich über einen Typen lustig gemacht hätte, der Unsummen für sein Erscheinungsbild verschwendete. Sie hatte sich gegen dieses tolle Aussehen wappnen wollen; es lag ja auf der Hand, dass es ihr zum Verhängnis werden würde, wenn sie ihm erlag.
Nachdem dieses Gespräch verebbt war, wechselten Hannah und Oliver noch ein paar Sätze, aber das war es |228| auch schon. Keine drei Minuten später, wahrscheinlich noch bevor sie sich wieder voll und ganz ihrem Schreibtisch zuwandte, rotierten bereits ihre Gedanken, weil sich das Verhältnis zwischen ihnen womöglich verschoben hatte. Sollte sie sich ihm gegenüber anders verhalten? Leicht exzentrisch und zugleich sehr schlagfertig? Als sie am nächsten Morgen mit dem Lift in die achte Etage fuhr, verspürte sie Panik; während in ihr die Panik tobte, versteinerte sie nach außen hin immer mehr. Oliver trudelte wie immer etwa vierzig Minuten später ein; diese Zeit hatte sie mit eher belanglosen Telefonaten zu überbrücken versucht, weil sie lieber beschäftigt sein wollte, wenn er eintraf – so müsste sie sich um Mimik und Form der Begrüßung keine Gedanken machen. Doch irgendwann hatte sie alle Anrufe erledigt, und so täuschte sie allerhöchste Konzentration auf ihren Papierkram vor, als er hereinkam; sie blickte flüchtig auf, ohne ihm in die Augen zu sehen, sagte »Hey« und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
Freundlich, aber nicht übertrieben herzlich erwiderte er »Hallo, Fräulein Hannah« und sonst nichts. Vielleicht hatte er keine Lust, mit ihr zu sprechen, genauso wenig wie sie mit ihm, vielleicht wollte er vermeiden, dass ihr gestriges Gespräch einen Maßstab setzte. Vielleicht hatte ihr gestriges Gespräch auch
nie
eine Chance gehabt, einen Maßstab zu setzen. Vielleicht war es ihm einfach egal. Wie dem auch sei. Je mehr Zeit verstrich – je mehr Tage verstrichen –, desto größer war die Erleichterung, sich darum keinen Kopf machen zu müssen.
Die Klausurtagung fand ein paar Wochen später in Newport statt. Es war im Oktober, einer ihrer wichtigsten Sponsoren finanzierte auch eine Übernachtung. Am Morgen waren sie alle gemeinsam mit dem Bus in Boston losgefahren, die meisten witzelten darüber, ab wann sie sich |229| frühestens die ersten Drinks genehmigen würden, und Hannah fiel beim Check-in im Hotel auf, dass Olivers Zimmer drei Türen von ihrem entfernt war. Er würde wohl nicht allein schlafen. Hannah hätte schwören können, dass Brittany, die neue Assistentin, im Bus direkt neben ihm gesessen hatte.
Nach der Tagung, doch vor dem Abendessen ging Hannah unter die Dusche, zog sich an und trat auf ihre Terrasse mit Meerblick. Die Außentemperatur betrug etwa siebzehn Grad, der Himmel war rosa und orangerot gestreift, die Luft frisch und süß, und Hannah fühlte die melancholische Sehnsucht, die sich an idyllischen Schauplätzen einstellt. Vielleicht lag es an dieser Melancholie, oder an der angenehmen Selbstvergessenheit, die damit einherging, dass sie gar nicht merkte, wie sie mit der Hand über das hölzerne Geländer rieb. Als sie die Hand jäh zurückzog, war es bereits zu spät – vom Splitter ragte nur eine winzige braune Spitze aus ihrer Handfläche heraus, der Rest hatte sich tief eingenistet.
Hannah kann so etwas auf den Tod nicht ausstehen, eine Wimper im Auge, ein Mückchen im Mund, jeden Fremdkörper, der ungebeten eindringt; dann will sie, dass es ganz schnell vorbei, alles wieder bereinigt ist, damit sie endlich weitermachen kann, selbst wenn sie eine Verletzung davonträgt. Ohne nachzudenken, eilte, ja rannte sie ins Zimmer zurück und dann in den Flur hinaus, auf Olivers Zimmertür zu.
Er war da. Im gegenteiligen Fall wären sie vielleicht nie zusammengekommen? »Ich habe mir einen Splitter eingefangen«, erklärte sie und streckte ihm die Hand hin, als er im Türrahmen erschien. Sie war nicht verstört genug, um nicht auf den Gedanken zu kommen, dass er sie für zimperlich halten könnte, aber der Splitter befand sich nun einmal in ihrer
rechten
Handfläche, und sie war Rechtshänderin. |230| Wie hätte sie ihn da allein herausbekommen sollen? Oliver bat sie herein – im Vorbeigehen hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass er sie am Rücken berührte –, und sie setzten sich beide auf eines der Betten. In ihrem Zimmer gab es ein großes Doppelbett, doch in seinem standen zwei Einzelbetten.
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