Also lieb ich ihn - Roman
verteilte sich auf drei verschiedene Zimmer, die alle Frank bezahlte. Obwohl Hannas Mutter seit 1969 nicht mehr Ski gefahren war, tat sie es nun von morgens bis abends, zunächst noch unter Anleitung auf dem Idiotenhügel, bald aber gemeinsam mit Frank. Allison, die bisher nur einige Male mit Sam am Lake Tahoe Ski gelaufen war, stürzte sich ebenfalls mit Begeisterung auf die Piste und unternahm sogar einige Snowboard-Abfahrten. Hannah, die noch nie auf Skiern gestanden hatte, entschied nach einer einzigen Unterrichtsstunde mit ihrer Mutter, es auch künftig zu lassen. Wenn sie ihre Mutter und ihre Schwester abends mit rosigen Wangen in die Hütte zurückkehren sah, strotzend vor Gesundheit und in glänzender Stimmung, löste das in Hannah Bewunderung aus, zugleich fühlte sie sich verraten. Ziel dieser Reise sollte sein, dass Frank und ihre Töchter miteinander vertraut werden, wie Hannahs Mutter nie müde wurde zu betonen; selbst wenn sie alle in einem Raum versammelt waren, sagte sie gern: »Ich hoffe, ihr lernt euch ein bisschen besser kennen!« Die Gespräche, die Hannah mit Frank führte, hätte sie auch an Bord eines Flugzeugs mit einem netten Sitznachbarn führen können, es ging ums Wetter, ums Kino oder ums Essen, das sie gerade zu sich nahmen. Frank war zu dieser Zeit in die Biographie eines britischen Abgeordneten des |236| frühen 20. Jahrhunderts vertieft, eine umfangreiche Hardcover-Ausgabe. Frank löste gern Kreuzworträtsel. Zum Abendessen erschien er stets mit Krawatte, von dem einen Mal abgesehen, als Allison verkündete: »Heute sumpfen wir ein bisschen, Frank!« und sie in ein Restaurant führte, wo die Wände mit Hörnern und Geweihen dekoriert waren und die Kellnerinnen enge Jeans trugen, dazu noch engere Ski-Unterhemden oder Flanellhemden. Hierfür zog Frank wie üblich Blazer und Hemd an, doch mit offenem Kragen. Die Rechnung in dieser vermeintlichen Spelunke betrug für fünf Personen 317 $ (wie Hannah erspähte) und wurde wie stets von Frank beglichen.
Wenn sie und Allison sich manchmal in Franks Gegenwart über Dinge wie Parfum unterhalten, fragt sich Hannah, ob er ihr Geschwätz erfrischend findet oder nur belanglos. Er selbst hat keine Kinder. Neunundzwanzig Jahre war er mit einer Frau verheiratet, die entweder geisteskrank oder sehr schwierig gewesen sein muss (Hannahs Mutter spricht nur selten und in dunklen Andeutungen von dieser Frau, so dass es in der Schwebe bleibt), seit vier Jahren ist er verwitwet. Anfänglich sagte ihre Mutter: »Er ist etwas scheu«, bestätigen würde es Hannah allerdings nicht – dass er wenig spricht, ist nicht unbedingt ein Zeichen von Scheu. In erster Linie ist er reich. Diese Tatsache ist allgemein bekannt, darum ist es auch eine befürwortenswerte Entwicklung, dass ihre Mutter ihn heiratet, vorausgesetzt, er entpuppt sich später nicht als psychisch gestört. Wenn es schon keinen Unterschied macht, welchen Mann eine Frau heiratet, kann sie doch gleich einen reichen wählen? Nun kann ihre Mutter auch in Zukunft ihre rosafarbenen Hosen mit Bügelfalte und weichen Strickjacken in Pastelltönen tragen und zu besonderen Anlässen ihre berühmten Fettucine Alfredo mit Shrimps zubereiten. Besonders materialistisch orientiert ist ihre Mutter |237| keineswegs, aber Hannah weiß eben nicht, ob sie zu einer anderen Lebensweise fähig ist. Und Frank strahlt etwas Sicheres, Beruhigendes aus, was zum Teil mit seinem Geld zusammenhängen dürfte. Hannah traut ihm zu, sich auch in einer kritischen Situation zu bewähren – sollten Allison oder sie beispielsweise infolge einer Essstörung ins Krankenhaus überwiesen oder eine von ihnen wegen Trunkenheit am Steuer belangt werden. Beides ist zwar recht unwahrscheinlich, falls es aber doch mal eintreten sollte, würde Frank sich des Problems wohl annehmen und zu seiner Lösung beitragen, ohne großes Gerede oder Schuldzuweisungen. Außerdem scheint Frank niemandem etwas beweisen zu müssen, niemals wirkt er angespannt. Selbst der Umstand, dass er Mrs. Dawes nach Hause fährt, ist für Hannah ein gutes Zeichen, ein Zeichen, dass er auch im Rahmen seiner frischgebackenen Ehe keiner Show-Einlagen bedarf, dass er nicht das Gefühl hat, er dürfe seiner Frau nunmehr nicht von der Seite weichen, um sich und vielleicht anderen zu zeigen, wie treu und ergeben er ist.
Als Frank das Radio anmacht, das auf den öffentlichen Sender eingestellt ist, erfüllt unaufdringlich leise klassische Musik den Wagen. »Ist Ihnen die
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