Also lieb ich ihn - Roman
Flüchtig, nur halb bewusst dachte sie daran, ihm einen Zimmertausch anzubieten, wenn er ihr half, den Splitter loszuwerden, so hätten er und Brittany mehr Platz für ihre Liebesspielchen.
Oliver beugte sich über ihren ausgestreckten Arm und setzte die Daumen ein, um ihre Handfläche in beide Richtungen zu dehnen. »Der ist ganz schön weit eingedrungen«, sagte er.
Inzwischen nahm sie ihn, seine unmittelbare Nähe stärker wahr als den schmerzenden Splitter. Der Splitter war ihr vollkommen egal. Vielleicht hatte er ihr von Anfang an nur als Ausrede gedient. Olivers Haar war wieder braun, das Gefärbte war herausgewachsen, und ihr gefiel sein geneigter Kopf, ihr gefielen seine männlichen Finger, ihr gefiel, dass sie kaum ein Wort wechselten, dass er so wenig überrascht schien, sie vor seiner Tür zu sehen. Es kam ihr so
folgerichtig
vor. Wenn sie zusammenlebten, würde er sie als Mitglied seiner Sippe anerkennen. Er würde ihr Schweigen nicht für Arroganz halten, ihr Verantwortungsbewusstsein nicht für Humorlosigkeit, nicht einmal ihre Prüderie würde er für echte Prüderie halten. Er wäre wild und unausstehlich und keineswegs der Ansicht, dass es moralisch ein wenig verwerflich sei, über andere zu lästern (Mike war dieser Ansicht). Sie würde sich mit ihrer Meinungsfreude nicht mehr so einsam und allein gelassen fühlen. Wenn sie beim Verlassen eines Restaurants, in dem sie mit einer Gruppe zu Abend gegessen hatten, eine Bemerkung fallen ließe, weil einer so wenig Trinkgeld gegeben oder ein anderer sich so furchtbar langatmig über seine |231| Frankreichreise ausgelassen hatte, würde sich herausstellen, dass Oliver das Gleiche aufgefallen war. Anders als Mike würde er nicht aufreizend freundlich sagen: »Ich fand diesen Reisebericht aber wirklich spannend.«
»Ich brauche eine Pinzette«, sagte Oliver.
Ihr war es fast peinlich, dass sie eine besaß, aber ohne wäre es nun mal nicht gegangen. Während sie in ihr Zimmer zurückkehrte, die Pinzette hervorkramte und wieder den Flur entlangging, schlug ihre Vision von einer gemeinsamen Zukunft mit Oliver ins Gegenteil um – sie musste den Verstand verloren haben –, doch als Hannah sein Zimmer zum zweiten Mal betrat, kippte sie erneut. Ja.
Seelenverwandter
war ihr als Begriff zwar zu blöd, aber wenn es dafür ein weniger affiges Synonym gab, würde sie das verwenden. Sie könnten einander Gesellschaft leisten, sie würde sich um ihn kümmern, darauf achten, dass er nicht auf Abwege geriet. Das war bei ihm bestimmt nötig. Vielleicht, dachte sie freudig, versucht er ja seit Ewigkeiten, das Koksen aufzugeben, bisher ohne Erfolg.
»Halt still«, sagte er. »Ich hab ihn fast. Da! Willst du ihn sehen?« Er hielt die Pinzette hoch. Dieses winzige hauchdünne braune Etwas war so gut wie nicht vorhanden, so gut wie nichts.
Als er sie ansah, wusste sie auf Anhieb, dass ihr eigener Blick zu aufdringlich war. Mit einem Lächeln – einem Lächeln, das ihr das Herz brach – sagte er: »Hannah, du weißt doch, ich bin ein Schürzenjäger.«
»Ich weiß«, antwortete Hannah.
»Na dann.« Sie rührten sich beide nicht.
Irgendwann sagte sie: »Eine andere Frau würdest du auf der Stelle küssen.«
»Stimmt.«
»Dann küss mich doch.«
Als er sich über sie beugte und sein Mund sich ihrem |232| näherte, sagte er: »Wusste ich’s doch, dass du eine dreckige Schlampe bist.«
Als auch die Hochzeitstorte verzehrt ist, findet sich die jüngere Generation – Hannah, Oliver, Allison, Sam, Fig und Figs Bruder Nathan, der zweiundzwanzig ist – geschlossen im Arbeitszimmer ein und guckt Sportfernsehen. Allison fragt: »Fig, wo ist eigentlich dein Prachtkerl?«
»Welcher Prachtkerl?« Fig klingt herablassend.
»Du weißt schon. Dieser umwerfende Typ, den du mir letztes Jahr vorgestellt hast.«
»Ach der«, sagt Fig. »Schnee von vorgestern.«
»Wahnsinn«, sagt Allison. »Wer soll bei dir noch mithalten?«
»Du bist also die reinste Männerfresserin«, wirft Oliver über die Schulter ein. Er sitzt zwischen Hannah und Fig an der Sofakante, zum Fernseher vorgebeugt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und ein Glas Scotch in der Hand (das vierte? das neunte?). Fig hat sich der Länge nach hingefläzt und in die Kissen gelehnt, mit den Füßen auf dem Couchtisch. Auf diesem ausgezogenen Sofa hat Oliver die letzte Nacht verbracht.
»Manchmal«, erwidert Fig. »Wenn ich hungrig genug bin.«
Nein, denkt Hannah.
Nein, nein und noch mal nein!
»Und warum wirst
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