Also lieb ich ihn - Roman
keineswegs unüberhörbar – zu Oliver sagt: »Vielleicht sollte man mir den Hintern versohlen, weil ich mich so schlecht benehme.«
»Kirschen und Äpfel«, erklärt Hannahs Mutter, während Oliver rausgeht. Am liebsten würde Hannah aufspringen und hinter ihm die Tür verriegeln. »Ich hatte Sorge, dass es zu süß ausfallen könnte, aber dann sagte der Mann vom Catering-Service, es sei einer ihrer gefragtesten Gerichte.«
»Das denk ich mir«, sagt Tante Polly.
»Sonst hätte es auch eine asiatische Variante gegeben, mit Chinakohl und Zuckererbsen und was weiß ich noch alles« – da kommt Oliver in die Küche zurück – »aber das wollte ich Mrs. Dawes nicht zumuten, sie ist recht heikel, was Essen anbetrifft. Hannah, hattest du ihr nicht mal |248| Hummus serviert, oder Allison? Mrs. Dawes konnte damit jedenfalls gar nichts anfangen.«
»Weiß ich nicht mehr«, antwortet Hannah; sie hört kaum hin, weil sie gebannt verfolgt, wie Oliver sich von hinten an Fig heranschleicht, sie am Kragen packt und ihr einen Schneeball in den Rücken fallen lässt – so richtig überraschend ist das nicht.
Als Fig loskreischt, steht Hannah auf. »Hör auf«, sagt sie.
Alle wenden sich ihr zu. Fig greift sich in den Rücken, während Oliver schadenfroh dreinblickt, er ist ziemlich verschwitzt – wahrscheinlich läuft die Heizung immer noch auf vollen Touren.
»Lass es einfach«, fährt Hannah fort. »Du verschwendest deine Zeit. Sie ist vom anderen Ufer.«
Niemand rührt sich. Unwillkürlich wechselt Hannah einen Blick mit ihrer Cousine. Fig scheint verwirrt. Hannah sieht zu Oliver. Die Schadenfreude ist einem Ausdruck unverhohlener Neugier gewichen.
»Sie ist nämlich«, Hannah hält kurz inne, »eine Lesbe.« Dieses Wort hat sie noch nie zuvor verwendet. Sie ist voller Selbstekel. Schlimm genug, dass sie Figs Geheimnis preisgibt und zugleich die eigenen Vorurteile, doch schlimmer noch ist ihre groteske Vorgehensweise. Alle starren sie an, alle fünf. Im Grunde gibt es nichts Seltsameres als ein menschliches Gesicht. Und wenn man dann gleich mehreren gegenübersteht – wieso mussten sie ausgerechnet jetzt alle zusammenkommen?
»Darum solltest du die Finger von ihr lassen«, sagt Hannah zu Oliver, als sie aus der Küche geht. »Und nicht etwa, weil sie meine Cousine ist.«
Für Oliver gelten folgende Regeln:
Er darf nicht zu Prostituierten gehen.
|249| Er darf zweimal mit derselben Frau schlafen, aber höchstens zweimal.
Er darf sich oral befriedigen lassen, andere darf er aber nicht oral befriedigen.
Er muss Kondome benutzen.
Er muss duschen, bevor er Hannah wieder unter die Augen tritt.
Glaubt sie im Ernst, dass er irgendeine dieser Regeln einhält, von der Dusche abgesehen? Wohl nur in den seltensten Fällen. Ist doch klar. Wahrscheinlich treibt er es nonstop mit billigen Nutten, während Hannah sich inzwischen mit allen möglichen Geschlechtskrankheiten angesteckt hat.
Manchmal denkt sie allerdings, dass diese Regeln so abwegig gar nicht sind. Selbst einem wie Oliver sollten sie genug Freiraum gewähren. Als Hannah einmal das Thema »Sexsucht« im Internet recherchierte, gab sie nach einem flüchtigen Blick auf einige Websites ermattet auf. Was spielt es schon für eine Rolle, ob Oliver sexsüchtig ist? Oder Alkoholiker? So verhält er sich nun mal, und er hat nicht die geringste Absicht, sein Verhalten zu ändern. Dabei neigt er keineswegs zur Selbstzerstörung, jedenfalls nicht mehr als andere. Monogamie ist nur einfach nicht sein Ding.
Für sie gilt folgende Regel (nur diese eine):
Sie darf ihn alles fragen, es muss ihr bloß klar sein, dass es auf die Antwort nicht ankommt; dass es für beide besser ist, wenn sie von diesem Vorrecht keinen Gebrauch macht, sondern es auf unbestimmte Zeit aufspart, wie einen Gutschein; dass sie ihn am besten gar nichts fragt.
Das erste Mal tauchte diese Frage in ihrer zweiten Beziehungswoche auf. Hannah und Oliver hatten auswärts zu Mittag gegessen; als sie wieder im Büro waren und Hannah sich gerade an ihren Schreibtisch setzte, sagte er: |250| »Dreh dich um. Ich muss dir was sagen.« Er wirkte nervös, als müsse er dringend Wasser lassen. »Erinnerst du dich an den Schürzenjäger?«, fragte er.
»An wen?«
»Debbie Fenster hat mir heute Morgen einen geblasen.«
Zunächst hielt sie es für einen Witz. Nicht ganz, aber doch eher, als dass sie ihn ernst genommen hätte. Sie fragte: »Hier?«
»In der Behindertentoilette.«
Mehr als Schmerz oder Zorn
Weitere Kostenlose Bücher