Also lieb ich ihn - Roman
verspürte sie Ekel. Debbie hatte sich dort hingekniet, auf diesem verdreckten Kachelboden? Hannah wusste genau, wie es in dieser Toilette aussah; es war ihre Lieblingstoilette, anders als im normalen Damenwaschraum mit den vielen Kabinen war man da allein und hatte seine Ruhe. Und was war mit Oliver? Hatte er seinen Arsch etwa an die verschmierte Wand gepresst? Im grellen Neonlicht, um zehn Uhr morgens oder wann immer es stattgefunden hatte?
»Wie findest du das?«
»Abstoßend.«
»Machst du jetzt mit mir Schluss?«, fragte er. Seit Newport hatten sie beide die Begriffe
Freund
oder
Freundin
vermieden; sie flirteten per Mail, obwohl sie im selben Raum kaum einen Meter voneinander entfernt arbeiteten; nach Feierabend gingen sie in Bars (am Anfang fand sie es noch aufregend, sich mit Oliver zu betrinken, besonders an Wochentagen) und verbrachten dann die Nacht miteinander. In dieser kurzen Woche war sie so glücklich gewesen, dass es ihr nicht geheuer war.
»Ich wär schön blöd, wenn ich nicht mit dir Schluss machen würde«, sagte sie. »Meinst du nicht?« Eigentlich hätte sie jetzt das Gefühl haben müssen, am Boden zerstört zu sein. Doch so merkwürdig und unangenehm diese Beichte war, löste sie bei Hannah keine echte Trauer aus.
|251| Er blieb da stehen und sah sie besorgt an, bis er sich schließlich auf die Knie warf und das Gesicht in ihren Schoß barg, die Arme um ihre Waden geschlungen. Die Tür zu ihrem Büro stand offen; Hannah hörte, wie zwei ihrer Kollegen sich keine vier Meter entfernt über Fußball unterhielten.
»Steh auf«, sagte sie, auch wenn sie das genaue Gegenteil wollte.
Er presste seine Nase an ihr Schambein.
»Oliver …« Zwar wäre es ihr äußerst peinlich gewesen, wenn jetzt jemand ihr Büro betreten hätte, trotzdem genoss sie diese völlig unangebrachte Lage. Bis ihr Debbie Fenster in den Sinn kam, wie sie vor Oliver kniete – ungefähr so wie er gerade vor Hannah. »Komm schon«, sagte sie. »Steh auf.«
Als er den Kopf gehoben hatte und leicht nach hinten gekippt war, nunmehr auf die Fersen gestützt, stand sie auf. »Ich gehe jetzt. Falls einer nach mir fragt, sagst du bitte, ich hätte einen Arzttermin. Das muss ich erst mal verarbeiten.« Von der Tür aus sagte sie noch: »Ich weiß, dass du mich in Newport vorgewarnt hast, fairerweise. Aber trotzdem.«
An diesem Tag wechselten sie kein Wort mehr miteinander, auch nicht in der Nacht, und als sie am nächsten Morgen im Büro ankam, lange vor ihm, lag auf ihrer Tastatur ein Umschlag mit ihrem Namen. Offensichtlich kein Geschäftsbrief, sondern eine Karte, und als sie den Umschlag öffnete, fand sie die Reproduktion eines düsteren Gemäldes von 1863 vor, es zeigte einen Eisvogel. Auf der Rückseite stand in seinen üblichen Großbuchstaben:
LIEBE HANNAH, VERZEIH BITTE, DASS ICH DEINER NICHT WÜRDIG BIN. ALLES LIEBE, DEIN WIDERBORSTIGER BÜROGENOSSE OLIVER.
Erst Wochen später kam Hannah auf die Idee, |252| dass er diese Zeilen vielleicht als Abschiedsbrief gemeint hatte, weil er ihre Beziehung für beendet hielt. Während sie die Debbie-Fenster-Episode als kleinen Ausrutscher verbucht hatte. Doch selbst dann bereute sie nicht, ihm gegenüber nicht mehr Härte bewiesen zu haben. Diese Härte wäre ohnehin eher eine künstliche als eine natürliche Reaktion gewesen.
Als sie später beide an ihren Schreibtischen saßen, stellte Hannah ihm einige Fragen, um zu klären, wie sich ihre Beziehung im Groben gestalten würde. Danach stellte sie ihre Grundregeln auf. Das Gespräch verlief viel entspannter als erwartet; eigentlich hatte es ungeheure Ähnlichkeit mit einer geschäftlichen Transaktion, die im gegenseitigen Einvernehmen beschlossen wurde und die durchaus ihre heiteren Momente hatte. Das könnte allerdings an der Umgebung gelegen haben.
Hannah liegt rücklings auf der Bettdecke, als sie ein Klopfen hört. Schon öffnet sich die Tür, vom Flur aus teilt ein gelber Lichtstrahl das Zimmer, die Tür schließt sich wieder, und statt rücksichtsvoll zu flüstern, sagt Fig in normaler Lautstärke: »Du schläfst noch nicht, oder?« Bis Figs Stimme ertönt, denkt Hannah, es könnte Oliver sein (Frauen lassen sich gern jagen). Ob er wohl hinten auf der Veranda sitzt und mit Figs Bruder eine Tüte raucht? Oder immer noch in der Küche hockt, um ihre Mutter und Tante Polly mit Anekdoten aus dem Leben eines Kiwis zu erfreuen?
Vielleicht hat sich Hannah auch insgeheim immer danach gesehnt: nach einem Mann, der sich nicht
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