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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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ihm selbst steckte, ein Delegierter, ein Zuträger, ein Statthalter von Codes Gnaden – so einer wurde gebraucht, und so einer ist denn auch entstanden. Vernünftig? Mitnichten! Neu, originell? Aber bei jedem beliebigen Urtier funktioniert ja schon eine Selbstverwaltung der miteinander verbundenen Moleküle, und so wurden die entsprechenden Funktionen lediglich auseinandergerissen und auf verschiedene Kompetenzen verteilt.
    Die Evolution ist ein faules Gestammel und hält solange stur am Plagiat fest, bis sie in der Klemme steckt. Erst wenn ein ehernes Muß sie zwingt, wird sie genial, aber nur der Höhe der Aufgabe entsprechend und nicht um einen Deut mehr. Dann durchstöbert sie die Moleküleund spielt all deren Kombinationsmöglichkeiten in jeder erdenklichen Weise durch, und so schuf sie auch den Statthalter über die Gewebe, weil die Harmonie, für die der Code zwischen ihnen gesorgt hatte, brüchig geworden war. Aber er blieb eben nur Delegierter, Verbindungsglied, Rechnungsführer, Schiedsrichter, Eskorte, Überwacher – und es vergingen noch Millionen Jahrhunderte, ehe er über diese Funktionen hinauskam. Schließlich war er ja als eine in den Körpern selbst untergebrachte Sammellinse der Komplexität entstanden, weil das, was die Körper entstehen läßt, sie nicht mehr zusammenhalten konnte. Er nahm also seinen Dienst in diesen seinen Staatskolonien auf, ein gewissenhafter Aufseher, durch seine Zuträger in allen Geweben präsent, derart tüchtig, daß der Code, gestützt auf ihn, weiter sein Geschwätz fortsetzen und die Kompliziertheit, die ja nun Unterstützung erhielt, auf die Spitze treiben konnte, und das Gehirn sekundierte ihm, pflichtete ihm bei, stand ihm zu Diensten und zwang die Körper, den Code weiterzugeben. Daß er sich als derart tüchtiger Statthalter erwies, kam der Evolution sehr zupaß, denn sie sank immer tiefer.
    Unabhängig? Aber er war doch nur ein Abgesandter, ein Herrscher, der gegen den Code nicht ankam, ein Delegierter, eine Marionette, ein Bevollmächtigter, ein Bote zur besonderen Verwendung, aber gedankenlos, weil für Aufgaben geschaffen, die er selbst nicht kannte – hatte der Code ihn doch zu einem geknechteten, aber von seiner Knechtung nichts ahnenden Fronvogt gemacht und ihm die Herrschaft übergeben, ohne freilich deren eigentliches Ziel offenzulegen, was er im übrigen aus rein sachlichen Gründen auch gar nicht konnte. Ich drücke mich zwar bildhaft aus, doch gestalteten sich die gegenseitigen Beziehungen zwischen Code und Gehirngerade so, nach Art eines Lehnsverhältnisses. Das hätte eine hübsche Bescherung gegeben, wenn die Evolution auf Lamarck gehört und dem Gehirn das reformatorische Privileg verliehen hätte, die Körper umzugestalten, eine regelrechte Katastrophe wäre das geworden, denn was für eine Selbstvervollkommnung hätte wohl das Gehirn der Saurier, oder das der Merowinger, oder auch euer eigenes bewirkt? Es wuchs jedoch weiter, da sich diese Übertragung von Befugnissen als vorteilhaft erwies, denn wenn es den Boten diente, diente es auch dem Code, und so wuchs es mit positiver Rückkoppelung … Und weiterhin führte der Blinde den Lahmen.
    Dennoch lag trotz der bewährten Autonomie die Initiative letztlich bei dem wahren Herrscher, diesem Blinden, der über die Moleküle herrscht, denn er übertrug so lange Funktionen, bis er das Gehirn zu einem derartigen Kombinator gemacht hatte, daß in ihm eine echoartige Andeutung des Codes entstand: die Sprache. Wenn es ein unerschöpfliches Rätsel in der Welt gibt, dann ist es dies: daß sich oberhalb einer bestimmten Schwelle die Diskontinuität der Materie in den Code verwandelt, in die Sprache der Nullstufe, und daß sich dieser Prozeß auf der nächsten Stufe wie ein Echo wiederholt mit der Schaffung der ethnischen Sprache; aber das ist noch nicht das Ende der Entwicklung, denn diese sich wie ein Echo wiederholenden Systeme steigen immer höher auf, sind allerdings in ihren Einzelheiten wie als ganze nur von oben her zu erkennen – doch über diese faszinierende Frage werden wir vielleicht ein andermal reden.
    Eurer Freisprechung, besonders aber ihrem anthropogenetischen Präludium kam der Zufall zu Hilfe, denn die pflanzenfressenden, baumbewohnenden Vierhändergerieten in ein Labyrinth, das nur den vom Untergang verschonte, der besondere Findigkeit bewies; dieses Labyrinth bestand aus der Versteppung, aus Glazial- und Pluvialzeiten, und gerade in diesem Durcheinander entwickelte die Horde eine

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