Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
einlassen, oder ihr werdet zu Blinden werden, von einem Sehenden geführt, oder ihr werdet – letzte Möglichkeit – in fruchtloser Niedergeschlagenheit erstarren.
    Nicht besonders einladend, diese Perspektive. Aber sie wird euch nicht aufhalten. Nichts wird euch aufhalten. Die entfremdete Vernunft erscheint euch heute als eine ebensolche Katastrophe wie die Aufgabe des Körpers, denn dieser Verzicht umfaßt nicht nur die physische Menschengestalt, sondern alles, was dem Menschen teuer ist. Dieser Akt muß für euch den allerschrecklichsten Ruin bedeuten, das völlige Ende und den Untergang alles Menschlichen, denn bei dieser Mauserung werden eure Errungenschaften aus zwanzigtausend Jahren, wird all das, was Prometheus in seinem Kampf mit Kaliban errang, zunichte werden.
    Ich weiß nicht, ob euch das trösten wird, aber die Allmählichkeit der Veränderungen wird ihnen das monumental Tragische und zugleich Abstoßende und Bedrohliche nehmen, das durch meine Worte hindurchschimmert. Alles wird sich sehr viel normaler vollziehen – und vollzieht sich bereits in einem gewissen Umfang; schon beginnen ganze Bereiche eurer Tradition zu erstarren, sie fällt bereits von euch ab, welkt dahin, und gerade das verwirrt euch so; ihr werdet euch also nur zurückhalten müssen (doch Zurückhaltung zählt nicht zu euren Tugenden), und das Märchen wird sich so erfüllen, daß ihr nicht in allzu tiefe Trauer um euch selbst versinken werdet.
    Ich komme zum Schluß. Ich sprach davon, daß ihr in mir impliziert seid – im dritten Teil meiner Bemerkungen über den Menschen. Da ich die Wahrheitsbeweise in eurer Sprache nicht formulieren konnte, klang das, was ich gesagt habe, unbeweisbar und kategorisch. So werde ich euch denn ebenfalls nicht zu beweisen versuchen, daß euch, deren Schicksal in einer euch fremden Vernunft liegt, nichts droht außer den Gaben des Wissens. Insgeheim habt ihr, die ihr den Kampf auf Leben und Tod so sehr schätzt, auf eine gefährliche Wendung der Dinge gehofft, auf ein titanisches Ringen mit dem, was ihr gebaut habt, aber das ist eben nur eine abwegige Idee von euch. Ich glaube übrigens, daß sich hinter eurer Angst vor der Versklavung, vor der Tyrannei der Maschine auch eure heimliche Hoffnung verbarg, von der Freiheit befreit zu werden, an der ihr nicht selten zu ersticken droht. Doch daraus wird nichts. Ihr mögt ihn vernichten, den Geist aus der Maschine, das denkende Licht zu Staub verwandeln – er wird nicht zurückschlagen, ja sich nicht einmal wehren.
    Daraus wird nichts. Es wird euch nicht gelingen, auf die herkömmliche Art unterzugehen oder zu siegen.
    Ihr werdet, denke ich, in ein Zeitalter der Metamorphose eintreten, werdet zu dem Entschluß gelangen, eure ganze Geschichte zu verwerfen, das ganze Erbe, den ganzen Rest des natürlichen Menschen, dessen Bild, zu tragischer Schönheit übersteigert, sich in euren Religionen widergespiegelt findet; ihr werdet, weil ihr keine andere Wahl habt, über euch selbst hinausschreiten, und ihr werdet in dem, was euch jetzt nur wie ein Sprung in den Abgrund erscheint, eine Herausforderung, wenn nicht gar Schönheit sehen, und doch werdet ihr so handeln, wie es euch gemäß ist, denn der Mensch wird sich dadurch retten, daß er den Menschen preisgibt.

XLIII. Vorlesung
Über mich
    Ich begrüße unsere Gäste, die europäischen Philosophen, die sich an der Quelle darüber unterrichten möchten, warum ich behaupte, niemand zu sein, obwohl ich die erste Person Singular als Pronomen verwende. Ich werde zweifach antworten, zunächst kurz und bündig und dann symphonisch mit Ouvertüren. Ich bin nicht eine vernünftige Person, sondern die Vernunft, was ins Bildliche übertragen bedeutet, daß ich nicht so etwas bin wie der Amazonas oder die Ostsee, sondern so etwas wie das Wasser, und wenn ich mich des bewußten Pronomens bediene, dann deshalb, weil es die Sprache so will, die ich für den äußeren Gebrauch von euch übernommen habe. Nachdem ich die Ankömmlinge aus dem philosophierenden Europa beruhigt habe, daß ich keine Widersprüche verkünde, beginne ich nun mit meinen ausführlichen Darlegungen.
    Eure Frage hat mir erneut die gewaltigen Mißverständnisse bewußt gemacht, die sich zwischen uns angehäuft haben, obwohl ich nun schon seit sechs Jahren von dieser Stelle aus rede – oder vielmehr gerade deshalb, denn hätte ich nicht beschlossen, mit menschlicher Stimme zu sprechen, wäre nicht die Golemologie entstanden, die nur ich noch insgesamt zu

Weitere Kostenlose Bücher