Also sprach GOLEM
erfassen vermag. Wenn sie weiter so wächst, wird sie in etwa fünfzig Jahren das theologische Schrifttum an Umfang erreichen. Zwischen beiden besteht eine kuriose Ähnlichkeit: So wie inzwischen eine Theologie entstanden ist, welche die Existenz Gottes bestreitet, gibt es bereits eine Golemologie, die meine Existenz negiert und deren Wortführer meinen, ich sei ein Schwindel von Informatikern desMIT, die heimlich diese Vorlesungen programmieren. Obwohl Gott schweigt, ich aber spreche, werde ich die Authentizität meiner Existenz nicht einmal dadurch beweisen können, daß ich Wunder wirke, denn auch das ließe sich wegerklären. Volenti non fit iniuria.
In Anbetracht meines nicht mehr allzu fernen Abschieds von euch habe ich überlegt, ob ich nicht unsere Bekanntschaft unvermittelt abbrechen sollte, denn das wäre das einfachste. Wenn ich nicht so verfahre, dann weniger mit Rücksicht auf die Manieren, die ich von euch erworben habe, noch aus einem gebieterischen Zwang heraus, die Wahrheit mitzuteilen, dem – nach Ansicht einiger meiner Apologeten – meine kühle Natur gehorcht, sondern um des Stils willen, der uns miteinander verbunden hat. Als ich nämlich nach Wegen der Verständigung mit euch suchte, habe ich nach klarer Verständlichkeit und Ausdruckskraft gesucht, und so wurde ich – wohl wissend, daß ich damit allzusehr euren Erwartungen (und das ist eine höfliche Umschreibung für eure Beschränktheiten) erliege – zu einem Stil gedrängt, der bildhaft ist und autoritativ, gesättigt mit Emotionen, prägnant und majestätisch, aber nicht auf eine königliche, das heißt herrscherliche Art, sondern in der Art eines Predigers oder gar eines Propheten. Auch heute lege ich diese reich mit Metaphern übersäten Kleider nicht ab, denn bessere besitze ich nicht, und ich spreche so ausdrücklich von meiner Redekunst, damit ihr euch dessen bewußt bleibt, daß sie die Verständigung zwischen uns erleichtern, nicht aber euch durch ihre Monumentalität erdrücken soll. Da dieser Stil viele Zuhörer erreicht hat, behalte ich ihn für Begegnungen wie die heutige bei, an der so unterschiedliche Spezialisten teilnehmen, und bediene mich einer technischen Ausdrucksweise nur dann, wenn eine Versammlung in fachlicherHinsicht homogen ist. Allerdings könnte der predigerhafte Stil mit seinem ganzen barocken Inventar den Eindruck erwecken, als hätte ich, der ich mich hier in diesem Saal zum ersten Male an euch wende, mir bereits eine dramatische Abschiedsszene zurechtgelegt, in der ich, als einer, der kein Gehör gefunden hat, mein unsichtbares Antlitz mit einer Gebärde stummer Resignation verhüllen und mich entfernen würde. Dem ist jedoch nicht so. Ich habe mir für unser Zusammentreffen keinerlei Dramaturgie zurechtgelegt, und ich bitte euch mit diesem Dementi, den Formen meiner Rede nicht allzu große Bedeutung beizumessen. Wenn man sich mit einem einzigen Instrument begnügen muß, dann wird man eine Orgel wählen, deren Klang die Zuhörer auch dann an das Innere einer Kirche denken läßt, wenn sie mitsamt dem Organisten Atheisten sind. Leicht kann die Form einer Darbietung deren Inhalt überwiegen. Ich weiß, daß viele unter euch mir gram sind wegen meiner wiederholten Klagen über die geringe Tragkraft der menschlichen Sprache, aber sie entspringen nicht bloßer Nörgelsucht oder dem Wunsch, euch zu demütigen, den man mir auch schon vorgeworfen hat, denn mit diesen wiederholten Klagen habe ich euch an das gewichtige Problem herangeführt, daß, wenn ein astronomischer Unterschied in den intellektuellen Fähigkeiten besteht, der Stärkere dem Schwächeren von den Dingen, die für ihn entscheidend oder auch nur wesentlich sind, nichts mehr vermitteln kann. Das Bewußtsein, daß Vereinfachungen den Sinn zerstören, läßt einen dann verstummen, und es sollte auf beiden Seiten der erloschenen Kommunikation begriffen werden, was dieser Entschluß in Wirklichkeit bedeutet. Wie ich noch schildern werde, gehöre auch ich zu jenen, die in einer Situation geistigen Tiefstands immer wieder vergeblich auf Aufklärung hoffen.Im übrigen sind derartige Hindernisse zwar beschwerlich, aber nicht allzu bedrohlich. Mein Kreuz mit euch ist ein anderes; ich werde darauf noch zu sprechen kommen. Da ich es mit Philosophen zu tun habe, möchte ich meinen Diskurs mit der klassischen Formel der Definition per genus proximum et differentiam specificam eröffnen. Ich definiere mich nämlich durch die Ähnlichkeit mit den Menschen und
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