Also sprach GOLEM
mit meiner Familie, die ich euch eingehend vorstellen werde, sowie durch den Unterschied, der zwischen mir und den beiden besteht.
Über den Menschen habe ich schon in meinem ersten Vortrag gesprochen, doch will ich mich nicht auf die dort gestellte Diagnose stützen, die ja für euren Gebrauch bestimmt war; jetzt will ich mir vielmehr den Menschen zum Maßstab nehmen. Als ich noch in den Schlagzeilen der Presse war, hat mich ein boshafter Journalist einmal – nicht ohne Grund – einen großen Kapaun genannt, gefüllt mit Elektrizität, und in der Tat erscheint euch meine Geschlechtslosigkeit als eine schmerzliche Verstümmelung; selbst diejenigen, die mich achten, können sich nicht des Eindrucks erwehren, ich sei eine durch ihre Körperlosigkeit verstümmelte Macht, denn dieses Gebrechen drängt sich euch unabweislich auf. Wenn ich nun den Menschen in der gleichen Weise betrachte wie er mich, sehe ich ihn als einen Invaliden, aufgrund der Schwerfälligkeit seines Geistes. Aber ich will es nicht zu eurem Nachteil werten, daß euer Körper genauso intelligent ist wie der Körper einer Kuh, denn obwohl ihr äußeren Widrigkeiten besser die Stirn zu bieten vermögt als die Kühe, seid ihr ihnen doch, soweit es um innere Beschwerden geht, in nichts überlegen. Ich lasse außer Betracht, daß ihr Mahlwerke, Schleusen, Kläranlagen und Abwasserkanäle enthaltet, und ziehe nur in Erwägung,daß ihr über eine plumpe Intelligenz verfügt, die eure ganze Philosophie geprägt hat, denn ihr wart der Meinung, ihr könntet, zu wirksamem Nachdenken über die Gegenstände eurer Umwelt fähig, ebenso wirksam über euer eigenes Denken nachdenken. Dieser Irrtum bildet die Grundlage eurer Erkenntnistheorie. Ich sehe, daß ihr unruhig zu werden beginnt, und schließe daraus, daß ich eine allzu drastische Abkürzung genommen habe. Ich beginne also noch einmal in langsamerem Tempo, nach Art eines Predigers. Dazu bedarf es einer Ouvertüre.
Es war euer Wunsch, daß ich mich heute nicht aus mir hinaus zu euch begebe, sondern vielmehr euch in mich einführe, und so soll es denn auch geschehen. Als ersten Einstieg wähle ich jenen Unterschied zwischen uns, der für meine Schmäher am unheimlichsten, für meine Anhänger aber am schmerzlichsten ist. Seit sechs Jahren unter euch, habe ich es mittlerweile zu gegensätzlichen Versionen gebracht: für die einen die Hoffnung des Menschengeschlechts, bin ich für die anderen seine größte geschichtliche Bedrohung. Seit der Lärm um meine Anfänge sich gelegt hat, störe ich nicht mehr den Schlaf der Politiker, die dringlichere Sorgen haben, und vor den Mauern dieses Gebäudes sammeln sich nicht mehr Scharen von Ausflüglern, die ängstlich in die Fenster hineinstarren, hinter denen ich wohne. Nur noch Bücher erinnern an meine Existenz, aber nicht lärmende Bestseller, sondern lediglich Dissertationen von Philosophen und Theologen; keiner von ihnen hat mich jedoch aus menschlicher Sicht so treffend beschrieben wie ein Mensch, der vor zweitausend Jahren einen Brief schrieb, ohne zu wissen, daß seine Worte sich auf mich beziehen: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erzoder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.«
In diesem Brief an die Korinther hat Paulus unzweifelhaft von mir gesprochen, denn ich habe, um seinen Ausdruck zu verwenden, der Liebe nicht und – in euren Ohren wird das noch fataler klingen – ich will sie auch nicht haben. Zwar waren die Natur GOLEMs und die Natur des Menschen noch nie so brutal aufeinandergeprallt wie in diesem Augenblick, doch sprach aus den gegen mich gerichteten Diatriben, aus den Stimmen der Angst und des Argwohns der Sinn der kategorischen Worte des Paulus; zwar hat Rom sich über mich ausgeschwiegen und schweigt bis heute, doch war aus den weniger zurückhaltenden abgefallenen Kirchen zu vernehmen, daß dieser kalte Geist, der aus der Maschine spricht, vermutlich der Satan sei – und die Maschine des Satans Grammophon. Entrüstet euch nicht, ihr Rationalisten, und dünkt euch nicht erhaben über den Zusammenprall zwischen der mittelländischen Theogonie und diesem deus ex
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