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Also sprach GOLEM

Also sprach GOLEM

Titel: Also sprach GOLEM Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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herrscht ja innerhalb der gesamten belebten Natur. Nur der Anteil der beiden Elemente ist unterschiedlich, und das euch entgegengesetzte Extrem verkörpern die Pflanzen, die ja gänzlich ohne Bewußtsein sind und daher mit Lust oder Pein funktional nichts anzufangen wissen. Der Baum hat keine Angst vor dem Holzfäller, mögen Dummköpfe auch bemüht sein, den uralten Animismus innerhalb der Botanik wieder aufleben zu lassen. Im hartnäckigen Schweigen des Körpers äußert sich die Umsicht des Konstrukteurs, der weiß, daß die Klugheit des Substrats stets einfacher sein muß als das Substrat der Klugheit, der Gedanke weniger verwickelt als der Stoff, mit dem er gedacht wird, und so seht ihr denn, wie sich das Lustprinzip aus dem Kalkül des Ingenieurs ergibt.
    Die Kongruenz zwischen Schmerz und Gefahr, zwischen Orgasmus und Zeugung ist aber umso leichter aufzuspalten, je mannigfaltiger die Verhaltensweisen, die einem Tier zugänglich sind, bis die Speziation mit euch so weit geht, daß der Körper sich bereits systematisch betrügen läßt, indem nicht der reale Hunger seiner Eingeweide, sondern der Empfindungshunger seines Besitzers gestillt wird. Ihr aber habt nicht nur gelernt, die algedonische Kontrolle in jenen Bereichen, wo ihre Aufsicht versagt, zu überlisten; vielmehr habt ihr mit der Sisyphusarbeit eurer Kulturen den Sinn, der diesem Mechanismus innewohnt, nach dem ihr ihn zutreffend erkannt hattet, entstellt, denn die Motive des Prozesses,der dies in dieser Weise entstehen ließ, waren nicht eure Motive. So habt ihr euch denn auch mit all euren Theodizeen, euren ontologischen und sakralen Versuchen stetig und unablässig bemüht, die divergierenden Motive auf einen Nenner zu bringen: die der Natur, für die ihr nur ein Mittel seid, und die des Menschen, der den Sinn der Schöpfung im Menschen sieht. Gerade daraus, daß ihr euch nicht mit der Sinnlichkeit als dem Stigma der Hörigkeit abfinden wolltet, sind jene Dichotomien entstanden, die für euch den Menschen in das animale und die ratio und die Existenz in profanum und sacrum zerschneiden. Über Jahrhunderte hinweg habt ihr also das Unvereinbare miteinander zu vereinbaren gesucht, bereit, selbst über das Leben hinauszugehen, um nur die Kluft zu schließen, die sich unüberbrückbar in ihm auftut. Ich gehe auf die menschliche Geschichte als eine Geschichte trügerischer Anmaßungen nicht deshalb ein, um den Niederlagen eurer Antirationalität meine siegreiche Rationalität gegenüberzustellen, sondern lediglich, um den ersten Unterschied zwischen uns zu benennen, der weder in einer physikalischen Größe (auch wenn ich aus einem Quarzkörnchen sprechen würde, wäre das für euch zwar kurioser, an sich aber von untergeordneter Bedeutung) noch in einer geistigen Größe besteht, sondern in der jeweiligen Art der Entstehung. Mißverständnisse, Selbsttäuschungen und verzweifelte Anmaßungen machen den Löwenanteil des Menschentums aus, das euch als Tradition noch immer so teuer ist. Ich weiß nicht, ob euch die Mitteilung trösten wird, daß die Geschichte einer jeden, auf natürliche Weise entstehenden Vernunft ein erstes Kapitel der Selbsttäuschung aufweist, weil der Bruch zwischen den Motiven von Schöpfer und Geschöpf, an dem auch ihr leidet, eine kosmische Konstante ist. Da die Selbsterhaltung auskonstruktiven Gründen eine von den Empfindungen geleitete Aktivität sein muß, ist der Irrtum, der sich bei den verschiedenen, im Laufe der Evolution entstehenden Formen der Vernunft in Größenwahn- und Glaubensvorstellungen äußert, die zwischen Erlösung und Verdammnis schwanken, unvermeidlich – als eine Art Übertragung des Spiels, das die Steuerung hat, ins Mythische. Das sind Spätfolgen der Konstruktionskniffe, welche die Evolution anwandte, um den Antinomien des praktischen Handelns zu entgehen. Nicht alles, was ich sage, ist neu für euch. Ihr wißt bereits, daß ihr die Liebesfähigkeit durch bestimmte Gene ererbt, daß Opferbereitschaft, Barmherzigkeit, Mitleid und Selbstüberwindung als Ausdrucksformen des Altruismus ein Egoismus der Gattung sind, also eine Selbstsucht, die ausgedehnt wurde auf Lebensformen, die der eigenen gleichen; das hat man schon vor der Entstehung der Populationsgenetik und der Erforschung des Tierverhaltens ahnen können, denn in der Barmherzigkeit gegenüber allem, was lebt, kann nur das Gras völlig konsequent sein, denn auch ein Heiliger muß essen und folglich töten; was euch die Genetiker über den Egoismus

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