Alta moda
Wache hielt, mich nicht behelligte. Ich wusch mich, so gut es ging, mit zusammengeknüllten Klopapierstreifen und zog hinterher die schmutzigen Kleider wieder auf die noch feuchte Haut. Sie war immer so weich gewesen, meine Haut, aber nun fühlte sie sich ganz fremd an; besonders an Armen und Beinen war sie rissig und rauh, und jetzt, wo ich meine Hände sehen kann, merke ich erst, wie trocken und schuppig sie ist. Wahrscheinlich, weil ich zu wenig Flüssigkeit bekam. Und gucken Sie sich nur meine Nägel an – richtig schwarze Krallen! Aber der Holzfäller hatte keine Schere, sonst hätte er sie mir bestimmt geschnitten. Meine Haare waren so lang und verfilzt, daß mit dem Kamm nichts auszurichten war, wohl auch, weil die, die mir ausgegangen waren, sich in dem wirren Schopf verfangen hatten, so daß ich sie jetzt büschelweise auskämmte. Schließlich gab ich es auf und glättete sie nur ein wenig mit feuchten Händen. Als ich dann die Hände selber betastete, merkte ich, daß die Finger stark geschwollen waren. Sie fühlten sich gar nicht mehr an wie meine Hände. Es sei ›zu meinem Besten‹ hatte der Holzfäller gesagt, als er mir Patricks Ring fortnahm. Er muß gewußt haben, daß das passieren würde. Er hat mir den Ring nicht gestohlen, und wenn er nicht hätte fliehen müssen, dann hätte er ihn mir wiedergegeben. Ich legte mich zurück und betastete zuletzt und mit aufrichtiger Neugier nach der langen Entfremdung meinen Körper. Ich strich über Brüste und Hüften und Geschlecht und dachte zurück an Liebesakte, Gebären, Stillen. Arme und Beine fühlten sich, ungeachtet meiner bescheidenen Trainingsübungen, erschreckend schlaff und staksig an. Egal, ich brauchte ja keine Muskeln mehr. Mir war ganz friedlich zumute, und ich fand, das Sterben sei viel leichter als das Leben.
Nach dem Mittagessen – hartes Brot und ein Stück Käse, wie üblich, aber auch eine wunderbar saftige Tomate, deren Genuß ich so lange wie möglich auskostete –, raunte mir der Holzfäller, als er das Tablett fortnahm, zu, er werde jetzt gehen und morgen bei Tagesanbruch mit dem Boss wiederkommen. Ich wußte, was das hieß. Das letzte, was er zu mir sagte, war: ›Gehen Sie rein. Es kommt ein Gewitter.‹ Und wirklich roch es nach Regen, und mir war, als hörte ich Donnergrollen. Ich kroch ins Zelt, zog die Kette nach und legte mich in den Schlafsack. Dabei dachte ich daran, wie der Holzfäller mich zugedeckt und mir den Reißverschluß hochgezogen hatte, und wünschte sehnlich, er würde es jetzt wieder tun. Sogar unter dem Zeltdach war die Luft regenschwer, die Feuchtigkeit kroch in meinen Schlafsack, in die Haut, und machte mich frösteln. Meinen gewohnten Gedankenspaziergang ließ ich ausfallen. Ich brauchte nicht mehr zu denken. In den letzten Stunden durfte ich einfach nur sein, und das war eine Erleichterung, so lieb mir meine kostbaren Gedankenreisen auch gewesen sein mochten. Ich war zudem sehr müde, und der Druck auf den Ohren belastete mich mehr als sonst, auch wenn ich mir das nicht erklären konnte. Aber morgen früh würde der Holzfäller wieder dasein, und dann war bald alles vorbei. Ihm konnte ich vertrauen. Er war für mich verantwortlich. Und es war gut so, daß ein anderer die Verantwortung für mich übernahm, denn ich selber war viel zu müde…
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, nur daß der Regen mich weckte. Was mußte das für ein Wolkenbruch sein, wenn ich den Regen aufs Zeltdach trommeln hörte? Ich zog den Arm aus dem Schlafsack, langte nach oben und stieß verwundert gegen eine heftig schwankende Zeltbahn. Der Donner entlud sich jetzt scheinbar direkt über mir, denn nicht nur konnte ich ihn deutlich – wenn auch verzerrt – dröhnen und grollen hören, er malträtierte meine armen Ohren auch ärger als alles vorher Dagewesene. Ich legte schützend die Hände darüber, doch sowie ich die großen, steinharten Pfropfen berührte, tat es erst recht weh. Als ich wieder nach oben langte, hatte das Zeltdach sich unter dem Gewicht der Wassermassen gesenkt, der Regen sickerte durch und rann mir über den Arm. Wie war das möglich? So überstürzt, daß ich meine Kette vergaß, kroch ich aus dem Schlafsack. Momentan machte der Schmerz im Handgelenk mich schwindeln, aber dann begriff ich: Der Regen hatte den Boden unterspült und die Halterung gelockert, wodurch das Zelt Schlagseite bekam und Wasser eindringen konnte. Ich rief um Hilfe. Niemand antwortete, und entsetzt besann ich mich darauf,
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