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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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daß ich mich diesmal beherrschen und meine Tränen zurückhalten mußte, damit ich den Artikel neben den Fotos lesen konnte. Viel Zeit würde der Holzfäller mir nicht lassen. Ich fing an zu lesen. Stockte. Begann von vorn und verstand wieder nichts. Ich stolperte über die Worte, oder vielmehr sie verschoben sich vor meinen Augen, purzelten durcheinander und ergaben einfach keinen Sinn.
    ›Na, kapiert, was das heißt?‹ schrie mir der Holzfäller aufgebracht ins Gesicht. ›Die wollen dich gar nicht wiederhaben, deine reichen, gebildeten Hätschelkinder. Sie haben sich entschlossen, die Kohle zu behalten und dich abzuschreiben – irgendwann hättest du ja sowieso dran glauben müssen, also warum nicht gleich? Das haben wir nun davon, daß diese Idioten dich mit dem geldgierigen Luder, deiner Tochter, verwechselt haben. Du an ihrer Stelle, du hättest gezahlt, nicht wahr? Ja, auf Mütter ist Verlaß. Aber eine wie du, die nicht mal einen Mann hat, der sie zurückhaben will, das bringt nichts! Ein Ehemann, selbst wenn er lieber die Kohle behalten und sich mit seiner Geliebten absetzen würde, der hätte immer noch Schiß vor der Gesellschaft und um sein öffentliches Ansehen!‹ Er schlug mit der flachen Hand auf die Zeitung. ›Da, sieh genau hin, so was hast du all die Jahre aufgezogen! Wie sagen die Florentiner so schön: Das Problem mit dem Kinderkriegen ist, daß man nie weiß, was für Menschen man in sein Haus läßt. Du brauchst dich das jetzt nicht mehr zu fragen: Deine Kinder wollen dich tot sehen!‹ Ich starrte wie hypnotisiert auf die Zeitung, während sich eine eisige Kälte in mir breitmachte, die höher und höher stieg, und als sie meinen Kopf erreichte, verlor ich das Bewußtsein. Nur der wahnsinnige Schmerz, als ich mit dem steinharten Ohrpfropfen auf dem Boden aufschlug, brachte mich wieder zur Besinnung. Ich schaffte es gerade noch, die Bettpfanne zu erreichen, bevor das unverdaute Brot vom Frühstück hochkam. Der säuerliche Geruch von Erbrochenem, vermischt mit den scharfen Dämpfen des Desinfektionsmittels, erzeugte einen fortgesetzten Brechreiz, aber schließlich würgte ich nur noch, und es kam nichts mehr. Da nahm mir der Holzfäller die Bettpfanne ab und schob sie nach draußen. Doch der Gestank blieb im Zelt. Der Holzfäller rutschte näher an mich heran, gab mir die Wattebäusche, die ich mir auf die Augen legen sollte, und sagte: ›Es ist aus mit dir. Der Boss hat entschieden. In ein paar Tagen läuft das Ultimatum ab, und die haben absolut nichts von sich hören lassen. Wenn sie nicht zahlen oder uns mit weniger abspeisen wollen, als wir verlangt haben, dann mußt du sterben.‹ Was er sagte, war furchtbar, aber er schien nicht mehr so wütend zu sein, denn als er mir die frischen Klebestreifen über dem Nasenrücken festdrückte, da machte er das ganz sanft und behutsam. Um so mehr erschrak ich, als er plötzlich flüsterte: ›Geben Sie mir die Hand.‹ ›Warum? Warum?‹ Diese unnötige Grausamkeit traute ich mich immerhin in Frage zu stellen. ›Tagsüber haben Sie mir noch nie die Hand angekettet. Warum heute? Bitte nicht, es tut so furchtbar weh!‹ ›Es ist in Ihrem Interesse, damit ich vorn auflassen kann und der Gestank abzieht.‹ ›Aber wenn ich Ihnen verspreche, daß ich mich nicht vom Fleck rühre? Ich kann mich ja auch in den Schlafsack legen. Bitte!‹ ›Geben Sie mir die Hand.‹ ›Dann wenigstens nicht so fest. Gar so stramm braucht die Kette doch nicht zu sein.‹ Probeweise gab er tatsächlich ein Glied zu, nur um die Kette dann doch wieder festzuziehen. ›Das ist zu locker. Wenn die anderen das sehen, machen sie’s nur noch enger als ich.‹ Damit ließ er das Schloß zuschnappen, und ich hörte ihn hinausrutschen. Der Reißverschluß blieb wirklich offen.
    Reglos saß ich da und hielt den Atem an, als ob ich damit das Leben in der Schwebe halten und die Schmerzwelle bannen könnte, die mir drohend entgegenbrandete. Die geringste Bewegung würde die Lawine ins Rollen bringen. Solange ich blind und taub war und mich nicht rührte, so lange konnte mir nichts geschehen. Aber jede noch so unbedeutende Regung würde das Leben wieder in Gang setzen, und die Katastrophe würde über mich hereinbrechen. Doch ich fror immer noch so entsetzlich – vielleicht eine Nachwirkung der Ohnmacht –, daß ich mich bald schon in die Wärme meines Schlafsacks flüchten mußte. Und als ich dalag, den Kopf auf der Nackenstütze, um den Druck auf den Ohren zu lindern, konnte

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