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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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zwingen, würde mich willig allen Anordnungen fügen, damit meine Entführer – oder zumindest der Holzfäller – sich erweichen ließen, mich täglich für kurze Zeit ins Freie zu lassen, um mir Bewegung zu verschaffen. Und wenn es mir gelang, den Kopf dabei stillzuhalten, konnte ich auch im Liegen Muskeltraining betreiben – mit Übungen, wie man sie mir damals in der Schwangerschaftsgymnastik beigebracht hatte. Bei völliger Bewegungslosigkeit über einen längeren Zeitraum drohten Muskelschwund und, im schlimmsten Fall, Darmverschluß mit tödlichem Ausgang.
    Der Reißverschluß! Durch meine versiegelten Ohren klang er jetzt anders, wie das leise Surren einer steppenden Nähmaschine, aber hören konnte ich ihn immer noch. Erst im letzten Moment fiel mir ein, daß ich mir das ja nicht anmerken lassen durfte. Jemand – ich wußte nicht, wer – packte meinen Fuß mitsamt dem Schlafsack und schüttelte ihn. Ich setzte mich auf. Der Mann ergriff meine Hand und riß mich mit einem solchen Ruck nach vorn, daß ich das Gleichgewicht verlor und seitwärts auf meinen ausgestreckten Arm fiel. Da ich annahm, er wolle mich zum Eingang dirigieren, krabbelte ich, so schnell ich konnte, aus dem Schlafsack, was freilich wegen der Fußkette, die ich ja mit herausziehen mußte, nicht schnell genug ging. Als ich mich auf allen vieren vorwärtstastete, schlug der Mann erst nach meiner Hand und führte sie dann absichtlich an die Zeltstange, nur, um mich noch einmal schlagen zu können. Dachte er, ich sei genauso dumm wie er? So fahrlässig, mich an der Zeltstange festzuhalten, war ich jedenfalls nicht. Am Ausgang angekommen, bedeutete er mir mit Knüffen und Püffen, mich aufzusetzen, und zog mir die Beine ausgestreckt ins Freie. Draußen war es eiskalt. Ich dachte an meine Pelzstiefel, wagte aber nicht, darum zu bitten. Er stellte mir ein kaltes Blechtablett auf die Knie, und als er meine Rechte an die Speisen führte, erkannte ich die kleine, klauenartige Hand des Fuchses. Offenbar durfte ich jetzt, da ich blind und taub war, halb im Freien sitzend essen, damit das Zelt nicht schmutzig wurde. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich ertastete ein Brötchen, rund und hart, und ein großes Stück Käse. Wie sollte ich das runterbringen, wo ich nicht nur keinen Appetit hatte, sondern nicht einmal einen Schluck Wasser, um die Speisen aufzuweichen? Da griff der Fuchs abermals nach meiner Hand und führte sie an den Hals einer Korbflasche im zerschlissenen Strohmantel. In meiner Angst, etwas zu verschütten, wagte ich nicht, die Flasche zum Mund zu heben, sondern beugte mich mit dem Kopf hinunter. Ein starker Rotwein, herb und sauer. Er schmeckte mir nicht, aber meine Nase verriet mir, daß es sich immerhin um einen Selbstgekelterten handelte, denn der ausgefranste Strohmantel roch nach altem Wein, ein herber Duft, der mich an unser Ferienhäuschen im Chianti erinnerte. Dort sammeln wir auch immer die leeren Weinflaschen und bringen sie zum Nachbarn, einem Winzer, der sie in seinem Keller wieder auffüllt und mit den gebrauchten Korken verschließt. Ein kräftiger Landwein konnte mir nicht schaden und würde helfen, das trockene Essen aufzuweichen. Mit dem Brötchen kam ich indes nicht zu Rande. Um hineinzubeißen, hätte ich den Mund so weit aufsperren müssen, daß der ohnehin heftige Schmerz in meinen Ohren unerträglich geworden wäre. Und um es mit den Händen zu brechen, war es einfach zu hart. Da glitt etwas kalt und scharf über meinen Handrücken. Ich erstarrte. Der Fuchs nahm mir das Brötchen aus der Hand und gab es mir in zwei Hälften geschnitten zurück. Als gleich darauf die Messerklinge an meinem Hals entlangfuhr, konnte ich den Fuchs sogar riechen. Ich begriff, daß er mich foppte, sein Spiel mit mir trieb, und zwang mich, nicht darauf zu reagieren, damit er die Lust an solchen Späßchen verlor. Ich blieb stocksteif sitzen, bis ich das Messer nicht mehr spürte. Dann begann ich zu essen, lauter kleine Bissen, die ich jeweils mit einem Schlückchen saurem Wein hinunterspülte, um mir das schmerzhafte Kauen zu erleichtern. Als ich fertig war, tastete ich verstohlen den Boden neben meinen Beinen ab und griff in einen Teppich aus Zweigen und welkem Laub. Es lag kein Schnee, und ich hatte das sichere Gefühl, daß wir uns hier auf einer frisch geschlagenen kleinen Waldlichtung befanden. Die schwere, straff gespannte Kette an meinem Fuß war wohl immer noch an dem Baumstamm befestigt, und außer meinem Zelt gab es bestimmt

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