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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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mein ganzes Gewicht auf einen dieser Ohrstöpsel und löste einen so unvorstellbaren Schmerz aus, daß er durch den Kopf hindurch bis aufs andere Ohr auszustrahlen schien. Wie sollte ich jemals Schlaf finden, wenn ich die ganze Zeit starr auf dem Rücken liegen und mich vor jeder reflexhaften Bewegung fürchten mußte? Nackte, geballte Wut stieg in mir auf und setzte sich in der Brust fest wie ein Stein, ein Stein so hart wie die steinernen Pfropfen in meinen Ohren. Ich verfluchte diese Kerle, die mich mit ihren sinnlosen Grausamkeiten quälten, mich, die ich ihnen nie etwas zuleide getan hatte. Wenn ich je wieder frei kam, würde ich Mittel und Wege finden, sie zu töten. Ja, wenn ich so stark wäre wie ein Mann, dann würde ich sie einen nach dem anderen mit bloßen Händen erwürgen.
    Da! Der Reißverschluß! Ich erstarrte. Wer immer es war, der da zu mir hereinkroch – ich haßte ihn! Ich spürte ein Gesicht dicht neben mir, eine Faust schlug mit voller Wucht auf die Pakete hinter meinem Kopf ein, dazu wütendes Gebrüll.
    »Ha, das wird dich lehren, hier herumzukrakeelen!« Dann unvermutet ein Flüstern, so eindringlich, daß es bis in meine Unterwasserwelt drang: »Was war denn los? Du darfst keinen Lärm machen, sonst kleben sie dir auch noch den Mund zu.«
    »Mein Ohr… Ich hatte mich auf die Seite gedreht.«
    »Dann laß das sein. Ich hab dir doch gesagt, leg dich auf den Rücken.« Wieder hagelten Faustschläge auf Tüten und Pakete nieder. »So, das reicht!« Die anderen lauerten draußen. Um ihretwillen gab er diese Vorstellung.
    »Aber ich kann auf dem Rücken nicht einschlafen. Und was ist, wenn ich mich nachts mal aus Versehen umdrehe?» »Das wirst du nicht tun. Ich weiß es. Du mußt nur ganz ruhig liegenbleiben, dann wirst du schon einschlafen. Verstanden?«
    »Ja.«
    »Ich muß gehen.« Eine Hand streifte meinen Kopf, und er flüsterte: »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.« Da robbte er schon rückwärts aus dem Zelt. Ich hörte noch den Reißverschluß, dann war ich wieder allein. Und weil dieser Mann, der mich angekettet, mich blind und taub gemacht und aus schierer Habsucht erniedrigt hatte wie ein Tier, weil der diese zwei kleinen Worte, weil er dieses ›Gute Nacht‹ gesprochen hatte, löste sich der Stein in meiner Brust, und ich vergab ihm. Ein menschliches Wort, eine humane Regung genügte, um mich und meine Hoffnung am Leben zu erhalten. Mein Zorn verflog, und ich spürte, wie die Spannung aus meinem Körper wich. Als ich tief Luft holte und ausatmete, ging ein Rasseln durch Brust und Kehle, als ob ich im Sterben läge. Aber ich würde nicht sterben. Meine erste Lektion hatte ich bereits gelernt: Ich weinte, ohne eine Träne zu vergießen.
    3
    In dem kleinen Amtszimmer herrschte Schweigen. Durch die Fensterritzen drang das Seufzen der Zypressen, die ihre Wipfel vor dem ungestümen Bergwind beugten, und dann und wann hörte man das Klappern eines unbefestigten Fensterladens oder das Scheppern, mit dem ein vergessener Blumentopf auf dem Pflaster zerschellte. Obwohl die Heizung lief, war die eisige Zugluft selbst innerhalb der mächtigen Festungsmauern des Palazzo Pitti zu spüren. Dabei dachte man angesichts des glastig flirrenden Lichts bereits an windgeschützte, lila und gelb changierende Krokusteppiche in sonnendurchfluteten florentinischen Gärten und mochte sich schneebeglänzte Gipfel höchstens noch in dem dunklen Bergmassiv oben im Norden vorstellen.
    Maresciallo Salvatore Guarnaccia, ein wohlbeleibter Mann in der schwarzen Uniform der Carabinieri, saß wie angewachsen hinter seinem Schreibtisch und dirigierte das Schweigen, beruflich seine stärkste Waffe.
    Von der schlanken jungen Frau, die ihm ebenso reglos gegenübersaß, ging ein Vibrieren aus wie von einer zu straff gespannten Violinsaite, und wenn sie schwieg, dann weil sie vor Nervosität nicht sprechen konnte. Warum sie so nervös war, mußte sich erst noch herausstellen. Bisher wußte er nur, daß sie Caterina Brunamonti hieß und die Tochter des verstorbenen Conte Ugo Brunamonti war. Ihre Kleidung wirkte schlicht, aber erlesen, und der Ring an ihrer schmalen, weißen Hand war mit auffallend großen Brillanten besetzt, die sehr echt aussahen. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig. Nachdem sie ihren Namen genannt hatte, erwartete sie wohl, daß der Maresciallo ihr weiterhelfen würde. Der Maresciallo beobachtete sie und schwieg. Sie blickte ihn nicht offen an, sondern hielt den Kopf leicht abgewandt, so daß sie ihn verstohlen

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