Alta moda
von der Seite taxieren konnte. Diese Pose, das lange Blondhaar, die fast unsichtbaren Brauen und Wimpern und ihre wächserne Hand mit dem auffällig zur Schau gestellten Brillantring, die wie leblos auf ihrem Schoß ruhte, verliehen ihr Ähnlichkeit mit jenen Porträts in der benachbarten Gemäldegalerie, die fast nur aus Spitzenbordüren, gestärkten Halskrausen und perlenbestickten Miedern bestehen. Auch findet man dort die gleichen Hände, lilienweiß, mit spitz zulaufenden Fingern. Die Menschen auf diesen Bildern sehen nicht aus, als ob sie aus Fleisch und Blut wären. Auch Caterina Brunamonti sah nicht so aus, weshalb man sich über ihr Schweigen nicht hätte wundern müssen, wenn, ja wenn sie nicht so unter Strom gestanden hätte, daß ein Kurzschluß drohte, falls der Maresciallo ihr nicht bald das erlösende Stichwort lieferte. Der Maresciallo schwieg.
»Ich mußte kommen! Ich habe mich vorschriftsmäßig verhalten, und ganz gleich, was Leonardo sagt, ich möchte nicht gegen das Gesetz verstoßen!«
»Ganz recht«, versetzte der Maresciallo höflich, während er sich jede noch so flüchtige Regung in ihrem Gesicht einprägte und jedes Wort speicherte, mehr noch aber denen nachhing, die ungesagt blieben. Dabei ruhte sein ausdrucksloser Blick unverwandt auf dem Stadtplan, der hinter ihr an der Wand befestigt war. Nervösen Menschen verschlägt es die Sprache, wenn man sie beim Reden ansieht. Läßt man dagegen die Blicke schweifen, dann umwerben sie ihr Gegenüber und buhlen um seine Aufmerksamkeit. »Leonardo… das ist vermutlich Ihr…«
»Mein Bruder, und er ist auf dem Holzweg. Überhaupt ist es besser, wenn ich die Sache in die Hand nehme, denn im Gegensatz zu ihm bin ich praktisch veranlagt, und außerdem habe ich mich inzwischen sachkundig gemacht. Nach dem, was ich gelesen habe, ist es das Beste, man verständigt die Carabinieri.«
»Damit sind Sie sicher gut beraten.« Es war ein Plan seines Viertels, auf dem er jetzt beiläufig das Quadrat mit der Piazza Santo Spirito ortete. Er wußte, wo der Palazzo Brunamonti zu finden war. Nicht, daß er jeden in seinem Revier persönlich gekannt hätte, aber soviel wußte er immerhin. »Und nun sind Sie gekommen, um uns zu verständigen.«
»Ja, ich mache mir Sorgen um meine Mutter. Sie ist… es könnte ihr etwas zugestoßen sein. Leonardo… aber Sie hören mir ja gar nicht zu!«
Ihre Empörung war verständlich, hatte er doch, ohne von ihr Notiz zu nehmen, zum Telefon gegriffen und ließ sich eben mit dem Präsidium jenseits des Arno verbinden.
»Geben Sie mir Capitano Maestrangelo.«
Die junge Frau sprang auf. »Was soll denn das? Ich wollte bloß mal mit Ihnen reden…«
Nun sah er sie endlich doch aus vorquellenden Augen an, so lange, bis sie sich unter seinem ernsten Blick stumm wieder hinsetzte, den Kopf in der gleichen wachsamen Haltung wie zuvor.
»Ihre Frau Mutter ist, wenn ich nicht irre, Inhaberin eines Modesalons?« Vor vielen Jahren hatten die großen Modenschauen, die bis heute unter dem Namen des Palazzos firmierten, tatsächlich im Pitti stattgefunden. Doch bei dem ständigen Kampf um die Sicherheitsmaßnahmen, die es zu beachten galt, ehe die Ausstellungsmitarbeiter Zutritt zu den Museumseinrichtungen erhielten, war der Maresciallo nicht traurig, als die Alta moda ihn schließlich dieses Problems enthob und abwanderte: die Herrenund Kinderkollektionen auf die Portezza am anderen Ende der Stadt, die Damenmode gar nach Mailand. Das war, wie gesagt, lange her. Trotzdem hatte er die Contessa Brunamonti nicht vergessen – und das nicht, weil ihr Salon zu den renommierteren Ateliers gezählt hätte, sondern weil sie eine so auffallend schöne Frau gewesen war.
Er zückte sein Notizbuch. Diese Anzeige hätte vor eine wesentlich höhere Dienststelle gehört. »Wie ist der Name Ihrer Mutter?«
»Olivia Birkett.«
Guarnaccia sprach beim Schreiben langsam mit: »Olivia Birkett, Witwe des Conte… sagten Sie Ugo, ja? Brunamonti…«
»Von dem Titel hat sie, außer für unsere Kollektionen, keinen Gebrauch gemacht. Meine Mutter war vor ihrer Heirat Mannequin.«
»Geburtsdatum?«
»16. Mai 1949, in Kalifornien.«
»Und wann haben Sie Ihre Mutter zuletzt gesehen?«
»Vor zehn Tagen, aber…«
»Hallo? Hallo! Nein, nein, ich muß ihn persönlich sprechen. Es ist dringend, ich bin sicher, der Oberst wird dafür Verständnis haben. Wie? Ja, ja, ich bleibe dran.«
»Warten Sie doch mal!« Ihre bleichen Wangen hatten sich gerötet, die
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